Der Flug geht am Nachmittag. Wir lassen uns mit samt unseren
in Kartons verpackten Fahrrädern nach Hannover bringen, da es inzwischen keine Direktflüge mehr von Hamburg nach Tel Aviv gibt. Sehr rechtzeitig sind wir am Flughafen, und so können wir beobachten, wie die für Israel-Flüge üblichen Absperrungen aufgebaut werden. Das Personal stellt sich allerdings ziemlich ungeschickt an, machen die das zum ersten Mal? Beim den obligatorischen Security Interviews gibt man sich besorgt: Es gebe in Israel keine Radwege, ob wir denn unbedingt mit den Rädern dorthin reisen müssten. Ja, wir müssen.
Nach einer Zwischenlandung in Berlin landen wir mit zweistündiger Verspätung auf dem Ben Gurion Airport, östlich von Tel Aviv. Inzwischen ist es fast Mitternacht. Besorgt nehmen wir die Fahrradkartons in Empfang, sie sehen ganz schön ramponiert aus. Zum Glück haben die Räder den Flug aber gut überstanden. Unter irritierten Blicken schieben wir die Räder samt Kartons durch den Flughafen zur Gepäckaufbewahrung. Wir brauchen die Kartons nämlich noch für den Rückflug. Es gelingt uns, den Aufbewahrungspreis für die an sich wertlosen Kartons von 560 NIS auf 200 NIS zu drücken. Das entspricht aber immer noch stolzen 40 Euro. In der Nacht fahren wir bei angenehmer Wärme durch die Vororte von Tel Aviv nach Norden, denn unser Ziel ist die Jugendherberge Petach Tikva. Die Falafel-Bestellung an einem Imbiss geht gründlich daneben: Anstatt zwei Falafel bekomme ich einen Kebab. Naja, ich habe ja noch zwei Wochen Zeit zum Üben. Gegen 01:30 erreichen wir die Jugendherberge, und nach einigem Suchen finden wir sogar jemand, der uns ein Zimmer zuweist. Hinsichtlich Plätzen für unsere Fahrräder ist er aber überfragt, so nehmen wir sie eben
mit auf unser Zimmer.
Beim Auschecken erregt mein Jugendherbergsausweis Aufmerksamkeit, befinden sich doch darin so viele bunte Stempel aus ganz Europa. Auch hier würde man sicher gerne so einfach über die Landesgrenzen reisen können, wie es bei uns der Fall ist. Wir beherzigen den Rat, uns reichlich mit Wasser einzudecken. Also halten wir bei dem nächsten Tante-Emma-Laden, um unsere Trinkflaschen und die eigens für diese Reise zugelegten Wassersäcke zu füllen. Auf meine Nachfrage wird mir eine Halbliterflasche angeboten. Das reicht natürlich nicht, und unter ungläubigem Staunen der Verkäuferin verlange ich solange nach mehr, bis ich auf neun Liter komme. Radreisende sind hier tatsächlich eine Seltenheit, unsere bepackten Fahrräder wirken exotisch. An einer Ampelkreuzung schaut uns ein Autofahrer staunend an. Rumms! Hätte er mal lieber nach vorne geschaut.
Die heiße, staubige Straße führt uns parallel zur Küste nach Norden. An der Herberge sagte man uns, dass es gerade eine Hitzewelle gäbe. Wir glauben es aufs Wort, da sich unser im Schatten hängendes Thermometer bei 50 Grad Celsius am oberen Anschlag befindet. Hier in der Küstenregion mit vielen Städten und Industrie gibt es nur einige
große Straßen, die glücklicherweise immer mit einem breiten Seitenstreifen versehen sind. So kommen wir trotz recht starkem Verkehr sicher voran. Aufgrund der Hitze machen wir eine zweistündige Mittagspause. Es gibt einen israelischen Salat, der zu 90% aus gewürfelten Gurken besteht. Genau das Richtige bei diesem Wetter. Die Bedienung sieht unsere vor der Tür geparkten Fahrräder und fragt: 'Bikerider?' Wir bejahen. 'Ah, Deutsche Telekom', lautet die erfreute Antwort. Nun, so schnell wie Jan Ullrich & Co. sind wir zwar nicht unterwegs, aber waren die eigentlich schon einmal mit Gepäck in Israel?
Kfar Vitkin liegt nördlich von Netanya am Mittelmeer. Eine Jugendherberge gab es dort einmal, sie ist aber nicht mehr in Betrieb. Wir fragen uns nach einer Unterkunft durch und landen schließlich bei Ben Se'ev, einem seltsamen kleinen Männchen, der ein Bungalow-Guesthouse verwaltet. Es seien schon viele Deutsche bei ihm gewesen, jedoch noch keiner per Fahrrad. Abends stärken wir uns im Fischrestaurant
direkt am Mittelmeerstrand. und runden somit die erste Etappe erfolgreich ab.
Morgens ist es noch angenehm kühl, doch das ändert sich bald. Wir fahren aus Kfar Vitkin durch landwirtschaftliche Betriebe und
Gärtnereien. Hier lässt es sich gut fahren, wir müssen lediglich einmal vor einer von einem überholenden LKW urinierenden Kuhgruppe ausweichen. Obwohl ich den schwarzen Wassersack mit einem hellen Leinenbeutel überzogen habe, wird das Wasser unterwegs schnell heiß und unappetitlich. So nehmen wir es nur als Reserve und kaufen uns an den Tankstellen gekühlte Getränke. Bei diesen 'Tankstopps' gibt es immer wieder die typischen Fragen neugieriger Einheimischer: 'Wo kommt ihr her?; Wo wollt ihr hin?; Wie gefällt Euch Israel?; Schickt Eure Freunde hierher!' Der heiße Gegenwind wirkt wie ein gigantischer Fön, alles trocknet in Sekundenschnelle aus. Die Abfahrt bei Yokne'am Ilit entschädigt ein wenig für den Kampf gegen Hitze und Wind.
Kurz vor dem Karmel Höhenzug lassen wir Haifa links liegen und biegen dann bei dem Weinstädtchen
Zikhron Ya'akov rechts ab. Unser Ziel ist Kiriat Tivon. Hier wollen wir eine Freundin besuchen, bei der wir auf unserer Reise vor sieben Jahren gewohnt haben. Leider gab es seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr und wir wissen nicht, wo sie inzwischen wohnt, kennen aber noch die Adresse ihres Elternhauses. Zunächst suchen wir aber eine Unterkunft und fragen einfach wie immer auf Englisch. Die zwei älteren Damen können aber offensichtlich mit meiner Frage nach 'Accomodation' nichts anfangen. Nach ein paar Sekunden Ratlosigkeit mustert die eine uns und meint dann: 'Ach so, ein Zimmer suchen Sie!' Die Beiden können uns dann tatsächlich weiterhelfen, und so übernachten wir bei Familie Schwarz in der Nähe des Zentrums. Hier weist zwar
ein Schild auf die Unterkunft, allerdings nur auf Hebräisch.
Die Gartenstadt Kiriat Tivon vor den Toren Haifas ist aus dem Zusammenschluss zweier Dörfer hervorgegangen und beeindruckt weniger architektonisch, als vielmehr durch reichhaltige Blumenpracht. Wir beziehen schnell unsere Unterkunft, denn wir haben ja noch einen 'Termin'. Also schnell essen, Blumen kaufen, und auf geht's. Auch nach sieben Jahren finden wir die Adresse unserer Bekannten problemlos, aber würde man uns wiedererkennen? Ist überhaupt jemand zuhause? Alle Befürchtungen treffen nicht ein, die Eltern unserer Freundin wohnen nach wie vor an dieser Stelle und begrüßen uns aufs Herzlichste. Nun müssen wir gleich noch einmal etwas essen, was aber nicht schwer fällt. Es folgt ein unterhaltsamer Abend mit Diskussionen über Privates, aber auch Politik und Wirtschaft des Landes. Offenbar sind alle froh, dass Ehud Barak von der Arbeiterpartei die Wahlen gewonnen hat, und sogar vormals völlig unpolitische Menschen haben sich für
seine Wahl engagiert. Wir verabreden uns telefonisch mit unserer Freundin, die nun in Jerusalem wohnt, doch bis dahin haben wir noch einige Kilometer im Sattel vor uns. Beim Abschied erhalten wir eine Einladung zum Frühstück am nächsten Morgen, die wir gerne annehmen.
Nach dem Luxusfrühstück fällt uns der Aufbruch schwer. Erst gegen elf Uhr machen wir uns auf nach Osten, um durch Galiläa an den See Genezareth zu fahren, der hier Kinneret heißt. An Nazareth fahren wir vorbei, wir hatten die Stadt bereits bei unserer ersten Reise besucht. Jetzt lockt uns mehr Israels größtes Süßwasserreservoir. Auf der
Straße Nr. 77 fahren wir durch das Tir'an Valley leicht bergab, denn der See liegt rund 200m unter dem Meeresspiegel. Auch hier passieren wir noch viele übrig gebliebene Wahlplakate, die häufig einfach
auf Straßenschilder geklebt wurden. Zum Mittag gibt es selbstgemachte Sandwiches, die wir als Reiseproviant mitbekommen hatten. Es ist zwar gleichbleibend heiß, aber Wind ist aufgekommen. Ich verzichte erstmals auf meine Kopfbedeckung, die ich sowie so ungern getragen hatte. Das dies eine schlechte Idee war, wird jeder verstehen, der schon einmal einen heftigen Sonnenbrand mitten auf dem Kopf hatte. Ab dem nächsten Tag fahre ich wieder brav mit Hut.
Nach Tiberias, dem urbanen Zentrum am
See Genezareth, gibt es dann eine 10km lange Abfahrt, auf der wir so manches Auto vernaschen. Am Seeufer wird unsere Geschwindigkeit dann durch den Nordwind abrupt gedrosselt. Die
Jugendherberge in Karei Deshe haben wir noch gut von unserem ersten Besuch in Erinnerung, damals war sie brandneu. Auch heute noch ist sie eine attraktive Bleibe, mit großzügigem Innenhof und eigenem Strand. Diesen nutzen wir auch gleich zu einem
erfrischenden Bad.
Heute haben wir uns viel vorgenommen, zwar keine lange Fahrt, aber eine schweißtreibende. Aus der Senke des Kinnerets wollen wir ganz hoch in den Norden des Landes. Daher stehen wir heute bereits um halb acht auf, um eine Stunde später in die Pedale zu treten. Die Sonne war aber schon früher wach, sie begleitet uns unerbittlich bei jeder Serpentine, die wir erklimmen. 15 Kilometer geht es steil bergauf und nach 200 Höhenmetern weist uns ein Schild darauf hin, dass wir wieder die
Meereshöhe erreicht haben.
Misstrauisch sieht uns ein Kiosk-Verkäufer an. Er hat in Matthias' Brieftasche das Bild von Jordaniens König Hussein gesehen, und mag gar nicht glauben, dass dieser eine israelische Telefonkarte ziert. Die Zeiten ändern sich.
Endlich oben. Die Hügelkette des seit Ewigkeiten umkämpften
Golan liegt friedlich vor uns. Dennoch müssen wir aufpassen: Die Gefahr für uns lauert aber nicht als Panzer oder Heckenschütze, sondern in Gestalt eines kleinen Dackels, der uns bei einer Abfahrt unvermittelt aus einem haltenden Auto fast in die Speichen springt. Durch das fruchtbare und mit Fischteichen versehene
Hula Tal fahren wir bis Kiriat Shemona, der nördlichsten Stadt Israels. Nach wenigen weiteren Kilometern, erneut bergauf, erreichen wir das rund vier Kilometer vor der libanesischen Grenze gelegene Dorf
Tel Hai. Hier erwartet uns die vor einem Jahr eröffnete Jugendherberge, sowie ein
schöner Ausblick auf den nördlichen Golan.
Bevor wir wieder zurück zum Kinneret fahren, haben wir ein Naturparadies ersten Ranges auf dem Programm. Es handelt sich um das Quellgebiet des Dan, eines der Jordanzuflüsse. Wir erreichen das "Tel Dan Reserve" über den Kibbut Dan und stellen plötzlich fest, dass wir uns bereits in dem kostenpflichtigen Reservat befinden. Unbeabsichtigt haben wir einen 'Hintereingang' gefunden. Wir schließen unsere Räder an, denn jetzt geht es zu Fuß weiter. Anders geht es auch nicht in dem
oasenartigen Naturpark mit dschungelartiger Vegetation und vielen Quellen. Die
natürlichen Pools bringen willkommene Abkühlung.
Wir fahren weiter nach Süden, diesmal auf kleinen Straßen an Dörfern und Kibbuzim vorbei. Pünktlich zur Mittagszeit finden wir ein Schild, das wir als Restauranthinweis deuten. Es führt uns in den gut bewachten Kibbuz Lehavot ha-Bashan. Wir finden zwar kein Restaurant im eigentlichen Sinne, jedoch eine Art Kantine, zu der die Menschen streben. Ich frage eine Frau, die ich als Teil des Personals ausmache, ob wir hier Essen dürfen. Sie ist unschlüssig, muss offenbar ihre Chefin fragen. Diese nickt zum Glück sofort zustimmend und führt uns zu einem großen Buffet. Alles ist sehr lecker, Getränke und Nachtisch werden uns auch noch gebracht. Nun sind wir satt und wollen bezahlen. Damit gibt es in dieser Gemeinschaft, in der keiner für Essen Geld braucht, offenbar ein Problem. Unser Geld wird abgelehnt, stattdessen erklärt uns die Frau von vorhin: 'Ihr seht so aus, als ob Ihr nicht aus Israel kommt, deshalb laden wir Euch ein'. Höflich widersprechen wir nicht und bedanken uns herzlich.
Auf der Ostseite des Hula-Tales fahren wir weiter gen Süden. Die
kleine grüne Straße 918 haben wir für uns alleine, denn sie ist für den Verkehr gesperrt. Grund ist die schon weit im Voraus angekündigte Schließung der Jordanbrücke, über die sie führt. Wir sind das Risiko eingegangen, und hoffen, dass wir mit den Rädern schon irgendwie passieren können, denn sonst würde ein langer Umweg drohen.
Unser Mut wird belohnt, die
Brücke ist nur stark baufällig, uns trägt sie noch problemlos. Auf der anderen Seite der Brücke begrüßt uns ein
Bauarbeiter mit einer Mischung aus deutsch und holländisch, früher hatte er einmal in den Niederlanden gearbeitet. Nach einer Rast am
Jordan sausen wir nun auf einer 17 km langen Serpentinen-Abfahrt zum See Genezareth hinunter. Die deutlichen
Warnhinweise vor den Kurven sind durchaus berechtigt. Wir quartieren uns erneut in der Herberge Karei Deshe ein, denn hier hat es uns zwei Tage zuvor gut gefallen. Die Jugendherberge besitzt auch eine Bar, und dort kommen wir am Abend mit dem christlich-arabischen Barkeeper sowie mit einer äußerst bibelfesten Amerikanerin ins Gespräch. Es entsteht eine lange Unterhaltung über weltliche und religiöse Dinge sowie die Auslegung der Bibel zu gesellschaftlichen Themen. Auch die Situation der arabischen Christen in Israel ist ein Thema. Die Meinung des Arabers überrascht uns: 'Von allen wird man beschissen, aber es ist besser, mit den Juden als mit den Moslems zusammen zu leben'.
Der Kinneret bietet viele Sehenswürdigkeiten, die schon in der Bibel Erwähnung finden. Was damals noch nicht bekannt war, ist, dass man hier auch gut Fahrrad fahren kann. Was liegt also näher als eine Umrundung des Sees? Schon nach wenigen Metern der erste Halt: Wir besuchen Kapernaum, biblisch berühmt geworden durch das Wirken von Jesus und Petrus an dieser Stelle. Heute bietet sich aber nur noch der Anblick auf einen
Haufen alter Steine mit christlichem Flair neben einem großen Reisebusparkplatz. Einen besseren Fotohintergrund für Aufnahmen von unseren Fahrrädern geben da schon die
üppigen Bananenfelder oder die
baufällige Jordanbrücke ab. Unversehrt gehen wir per Rad
'über'n Jordan' und kehren im touristischen Kibbuz und
Hafen Ein Gev zum Mittagessen ein. Hier kommen wir mit einem
argentinischen UN-Soldaten ins Gespräch, der auf dem Golan die Waffenstillstandslinie überwacht und gerade seine Familie zu Besuch hat.
Die Straußenfarm in Ha'On hätten wir gerne besucht, leider ist sie schon zu. Wenigstens ergeben sich für uns noch einige Fotos von den
langhalsigen Bewohnern. Stattdessen wollen wir uns abkühlen und suchen nach einer Badestelle am See. Das ist gar nicht so einfach, schließlich finden wir eine Stelle nach einer Fahrt durch einen
privaten Palmenwald, aber leider erweist sich diese als viel zu flach und schlammig. Unser heutiges Ziel, Poria, ist nur wenige Kilometer vom See entfernt. Allerdings müssen wir feststellen, dass auch in Israel die Jugendherbergen meistens
auf dem Berg liegen. Eine steile, serpentinenreiche Auffahrt gilt es zu bewältigen, bei der uns einige Autofahrer lautstark anfeuern. Die schöne Lage über dem See entschädigt dann aber für die Strapazen. Heute ist der Abend vor Shabbat und wir bekommen ein luxuriöses Abendessen serviert. Erst nach dem Essen stellen wir fest, dass für uns nur zwei Gläser Wein gedacht waren und nicht die ganze Flasche. Nun, zu spät. Als wir gesättigt sind, werden wir schnell herauskomplimentiert, damit eine jüdische Gruppe ihr Shabbat-Mahl einnehmen kann.
Auf dem Weg vom See Genezareth ins Landesinnere haben wir mit heftigen Steigungen zu kämpfen, Doch nicht nur wir, denn unerwartet treffen wir hier auf eine Rennradgruppe. Nachdem wir den 588m hohen biblischen
Berg Tabor passiert haben, suchen wir eine Möglichkeit zum Mittagessen. Heute am Shabbat kommt dafür nur ein arabisches Restaurant in Frage, das gilt auch für die Läden, an denen wir regelmäßig unseren Wasservorrat aufstocken. In Afula mache ich die Erfahrung, dass Radfahrern in Israel tatsächlich keine Rechte zugebilligt werden, aber auf einen Unfall lassen es die Autofahrer dann doch nicht ankommen. Hier biegen wir erneut nach Südosten ab und fahren die letzten Kilometer mit wohltuendem Rückenwind in die
Jisreel-Ebene zu den Gilboa-Bergen.
Viel Bebauung gibt es hier nicht, so finden wir die Jugendherberge auch schnell - es nützt uns aber wenig, denn hier ist offenbar niemand. Weitere Übernachtungsmöglichkeiten scheint es in der Umgebung nicht zu geben, also erforschen wir das Gelände der Herberge. An der Rezeption hängt ein
Zettel, natürlich nur in Hebräisch. Das einzige, was wir entziffern können ist eine Zahl, die wir für eine Telefonnummer halten. Einen öffentlichen Fernsprecher finden wir auch, also versuchen wir unser Glück und rufen die Nummer an. Tatsächlich war die Spur richtig, denn nach einer Weitervermittlung wird uns versprochen, dass jemand zur Herberge kommen will. Das ist sogar nach etwa einer Viertelstunde der Fall, und wir können einchecken. Die Jugendherberge besteht aus einem großzügigen Gelände mit vielen
Bungalows, von denen wir einen beziehen. Es wird heute kein Abendessen angeboten (es ist ja immer noch Shabbat) allerdings gibt es auf dem angrenzenden Grundstück den einarmigen, französisch-sprechenden Kioskbesitzer Edmund, der uns alle möglichen Lebensmittel inklusive Bier verkauft und uns damit den Abend rettet.
Mit Rückenwind und Gefälle brausen wir durch das fruchtbare
Harod-Tal bis Bet She'an, dort nehmen wir uns kurz Zeit, einen Blick auf die ca. 2000 Jahre alten
historischen Plätze zu werfen.
Das
Jordantal gilt als einer der heißesten Orte des Nahen Ostens, für mich also ideal zum Fahrradfahren geeignet. 80 km fahren wir entlang des so berühmten Flusses in
sengender Hitze, fast 400m unter dem Meeresspiegel. Rechts der Blick auf die Berge, links auf den Jordan und das dahinterliegende Jordanien. Der fruchtbare, grüne Streifen entlang des schmalen Flusses endet abrupt in steiniger Wüstenlandschaft. Einige Kilometer vor Jericho, kurz vor dem Beginn des palästinensischen Autonomiegebietes, taucht plötzlich ein Hinweisschild auf. Dieses weist sehr deutlich darauf hin, dass nur Gruppenreisen in Bussen nach Jericho gestattet seien, Einzelreisende hätten die neue Umgehungsstraße zu nehmen. Es folgen noch weitere Warnhinweise. Obwohl dies eine sehr eindeutige Aufforderung ist, ignorieren wir sie, denn sie widerspricht unserem Reiseplan. Wir wollen ja nach Jericho!
Vor der Stadt passieren wir einige Märkte mit
Zierbrunnen und Tonwaren. Auch am Flüchtlingslager fahren wir mit gemischten Gefühlen aber ohne Probleme vorbei. Nach 100 km Fahrt am heutigen Tage erreichen wir die tiefst-gelegene und älteste Stadt der Welt. Auf das, was uns hier erwartet, waren wir nicht vorbereitet: Mit überschwänglicher Begeisterung wird uns zugewinkt, gehupt und ein 'Welcome, sit down!' zugerufen. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Es schien, als hätte Palästina durch unsere Ankunft die touristische Anerkennung erhalten, könnte aber auch im Zusammenhang mit unserem ungewöhnlichen Verkehrsmittel stehen. Tatsächlich haben andere Touristen die israelischen Warnschilder offenbar ernst genommen und sind höchstens tagsüber geblieben. Unser Reiseführer weist zwei Unterkünfte aus, wir nehmen die 'New Pension', die in einem Rosengarten liegt. Neu ist das Gebäude allerdings nicht, zudem ziemlich primitiv, aber es gibt einige Zimmer. Wir haben die freie Wahl mangels weiterer Gäste. Das Fahrrad kommt auch mit rein, denn wir wollen die Stadt zu Fuß erkunden. In der Innenstadt herrscht orientalisches Treiben, auffallend sind die vielen bunten Gemüsemärkte. Das wohlverdiente Abendessen nehmen wir in dem etwas gehobenen
Gartenrestaurant 'Seven Trees' ein. Besonders gut schmeckt uns hier auch das palästinensische Bier aus Ramallah, das laut Etikett nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wird. Obwohl unsere Unterkunft weit weg von der Hauptstraße liegt, werden wir plötzlich mitten in der Nacht gegen halb vier von lautstarkem Lärm geweckt: Wir hatten nicht realisiert, dass eine
Moschee neben der Pension liegt und nun rief der megafon-verstärkte Muezzin vom Minarett zum Gebet.
Ein ausgiebiges Bad im Toten Meer wollen wir uns auch auf dieser Reise nicht entgehen lassen, und so steht uns für diesen Tag nur eine sehr kurze Strecke auf dem Programm. In der kargen Pension gibt es natürlich kein Frühstück, daher machen wir in der Stadt bei einer Bäckerei halt. Während wir uns mit süßen Teigwaren stärken, beobachten wir Männer beim
Rauchen der Wasserpfeife und Frauen, die sich auf dem Weg zum Einkaufen in Gruppen in die verlängerten Mercedes Taxen zwängen. Auf dem Weg
aus der Stadt nach Süden treffen wir einen
Kameltreiber bei seiner Arbeit. Als wir ein paar Fotos machen, fordert er gleich ein Bakschisch. Bereits nach gut 10 km treffen wir im Kibbuz Almog in der judäischen Wüste ein. Dieser florierende Kibbuz bezieht seine Einnahmen hauptsächlich aus dem Hotelbetrieb, es gehören aber auch eine Landwirtschaft, eine Dattelpalmenplantage sowie eine Tankstelle dazu. An der Rezeption, an der es insgesamt äußerst leger zugeht, begrüßt uns der Holländer Marc. Als er erfährt, dass wir per Fahrrad hier in der Wüste sind, gerät er völlig aus dem Häuschen. Aus Begeisterung gibt er uns eine Suite zum Preis eines normalen Zimmers und einen zusätzlichen Discount.
Nachdem wir die Suite bezogen haben, wollen wir endlich zum Baden. Es sind etwa 12 Kilometer auf der Straße zum Attrakzia-Park am Toten Meer. Obwohl wir eindringlich gewarnt wurden, entschließen wir uns aber, den nur etwa 6 km langen Weg quer durch die Wüste zu nehmen. Wie uns voraus gesagt wurde, befinden wir uns schnell
'in the middle of nowhere', meistern jedoch die steinige Strecke geschickt und ohne größere Umwege. Der Attrakzia-Park bietet Zugang zum Toten Meer wie auch eine Süßwasser-Badelandschaft. Auch hierfür hatten wir im Kibbuz Vergünstigungsgutscheine erhalten. Uns interessiert natürlich vor allem das Bad im Toten Meer selber. Der größte Binnensee Israels liegt 400m unter dem Meeresspiegel. Über 30% Salzgehalt bewirken, dass es in der ganzen Umgebung kein Leben gibt, aber auch, dass man hier nicht untergehen kann. Ein unbeschreibliches Gefühl! Dazu kommt der mineralhaltige Heilschlamm, den man leicht aus dem Grund lösen und sich
auf die Haut reiben kann.
Nach dem
Badespaß fahren wir dann zurück aber über die Straße. Die Zeit reicht noch für einen Sprung in den Kibbuz-eigenen Pool, dann geht es zum gemeinsamen Abendessen aller Gäste in den Speisesaal.
Am Abend nehmen wir gern das Angebot von Marc an, eine Führung durch den Kibbuz zu erhalten. Marc erzählt dabei sehr leidenschaftlich über das Leben im Kibbuz. Auch die Geschichte der Schriftrollen von Qumran kommt nicht zu kurz, die nur wenige Kilometer von hier gefunden wurden. Wir genießen die einmalige Atmosphäre des Kibbuz und lassen den Abend mit einer Flasche Wein ausklingen.
Ein weiteres, oder auch DAS Highlight liegt nun vor uns: Jerusalem. Darauf wollen wir nicht verzichten, und es ist auch nicht mehr weit vom Nordrand des Toten Meeres. Aber wir wissen genau, was vor uns liegt: Die serpentinenreiche Straße nach Jerusalem steigt auf 25 Kilometer Länge über 1200 Höhenmeter an. Darüber hinaus ist sie viel befahren, insbesondere von LKW und Bussen und verfügt über keinen Seitenstreifen. Von der inzwischen selbstverständlichen Hitze ganz zu schweigen, sind uns dies genug Argumente über eine alternative Transportmöglichkeit nachzudenken. Wir wählen einen Egged-Bus aus und hoffen, dass er auch unsere Räder befördern wird. Der Busfahrer zeigt zwar keine Begeisterung, nimmt uns aber mit, sodass wir für 26 Shekel pro Person schon nach kurzer Fahrzeit auf dem Busbahnhof der Heiligen Stadt ankommen. Entlang der Yaffa Road geht es nun in Richtung Altstadt, denn dort wollen wir ein Quartier suchen. Unterwegs legen wir am inzwischen stark heruntergekommenen
'Arizona-Pub' eine kurze 'Gedenkminute' ein, hier hatten wir vor sieben Jahren auf dem Dach kampiert.
Zu einem weiteren Stopp kommt es am
Jaffa-Tor, hier treffen wir die Kalifornierin wieder, die wir fünf Tage zuvor in Karei Deshe kennen gelernt hatten.
Unsere erste Unterkunftswahl, das berühmte 'Old City Hostel', ist voll belegt, doch im ganz in der Nähe gelegenen Lutherischen Hospiz finden wir Platz. Man kann sich nicht vorstellen, dass es so einen Ort der Ruhe in mitten des Trubels der Altstadt gibt. Das Hostel mit dem
schattenspendenden kleinen Garten ist sehr sauber, die Schlafsäle sind gut zur Hälfte gefüllt. Nach dem Einchecken wollen wir uns auch gleich in die turbulente Altstadt stürzen, zunächst ohne die Fahrräder. Ein Pita-Kebab bei Michael's Imbiss reicht uns als Mittagessen, wir haben ja auch noch nichts geleistet. Wir genießen das Flair der Altstadt und besuchen als erstes die
Grabeskirche mit all ihren eigenartigen
Würdenträgern und Besuchern.
Doch schräge Vögel gibt es auch in unserer Unterkunft: Wir treffen hier auf einen Israeli, der in Deutschland und anderswo gelebt hat, nur um dem Militärdienst in Israel zu entgehen. Die politische Lage des Landes interessiert ihn nicht besonders, Frauen sind ihm wichtiger. Außerdem ist da noch der französische Radfahrer, der per Rennrad Israel durchquert und auch die Negev-Wüste nicht auslässt.
Heute begreife ich endlich, warum ich bei meinem Besuch vor sieben Jahren nicht mit dem Stadtplan der Altstadt zurechtkam: Die Gassen der Altstadt erfordern dreidimensionales Denkvermögen - sie erstrecken sich nicht nur in der Ebene, sondern verlaufen zum Teil auch übereinander. Die Eingänge befinden sich schon mal
'in' den Marktständen. Kein Wunder, wenn man da einmal nicht den richtigen Eingang findet. Per Fahrrad fahren wir aber zunächst raus aus der Altstadt zur Einkaufsstraße Ben Jehuda und ins ultraorthodoxe Viertel Mea Shearim. Hier gelingt es uns sogar, ein Foto von drei orthodoxen Juden zusammen
mit unseren Rädern zu machen. Wir fragen natürlich vorher um Erlaubnis.
Weiter geht es zur
Klagemauer, es gibt aber keine Chance, unsere Räder mit auf das Areal zu nehmen. Die Klagemauer ist gespickt von frommen Wünschen, wir fragen uns, ob sie auch in Erfüllung gehen. Dazu schreiben wir auch einen
Zettel, den wir
in die Mauer stecken, und bitten darauf um schöne breite Radwege in Israel. Es klappt tatsächlich, schon etwa acht Wochen später lesen wir zuhause einen Zeitungsartikel der über die Eröffnung des
ersten Radwegs in Israel berichtet. Direkt an der Mauer sprechen uns freundliche Bartträger an. Wir nehmen die Unterhaltung gerne an, stellen aber schnell fest, dass es jeweils nach kurzer Zeit nur um finanzielle Unterstützung geht.
Darum geht es auch an der
Via Dolorosa, als wir plötzlich von arabischen Jungen umringt werden. Als wir ihrer plumpen Aufforderung, ihnen Geld zu geben, nicht nachkommen, werden sie unfreundlich und treten nach unseren Fahrrädern. Daraufhin beschließen wir, weiter ohne die Räder durch die Altstadt zu ziehen. Wir wandern durch das jüdische Viertel und
kaufen Gewürze. Das Abendessen im 'Al-Nasser' ist weit weniger erbaulich als es der Eintrag im Reiseführer vermuten lässt. Danach finden wir jedoch im abstinenten Jerusalem den
Tabasco Tearoom. In diesen internationalen Pub mit den bekritzelten Wänden kommen wir pünktlich zur Happy Hour und sitzen noch lange mit weiteren Globetrottern aus England und Polen zusammen.
Auf dem Weg zum Tempelberg kommen wir erneut an der
Klagemauer vorbei, und obwohl kein Shabbat ist, wimmelt es hier vor Menschen. Des Rätsels Lösung: Es finden
Bar Mitzwah Feierlichkeiten statt, bei denen die Religionsmündigkeit 13jähriger Jungen zelebriert wird. Der Höhepunkt dieses Festes ist das Tragen einer
Torahrolle aus der Synagoge zur Klagemauer. Es wird natürlich kräftig gefilmt und fotografiert, da fällt es nicht auf, wenn wir uns dazu stellen und dasselbe tun. Wir wandern über den
Tempelberg, ohne in den
Felsendom oder die
Al-Aqsa Moschee zu gehen, denn diese beiden islamischen Heiligtümer hatten wir uns schon bei unserem letzten Besuch ausgiebig angesehen. Natürlich galt das auch für die
Grabeskirche im christlichen Viertel, aber dort wollen wir uns das ein- und ausgehende Publikum, bestehend aus extravaganten
Würdenträgern sowie Pilgern der ganzen christlichen Welt, nochmals näher ansehen. Extra zu diesem Zweck hatte ich doch mein Teleobjektiv mitgenommen. Wir haben Glück nicht nur auf das 'normale' Publikum zu treffen, sondern erleben sogar eine
Prozession mit Glockengeläut, das einer modernen Techno-Produktion in nichts nachsteht.
Von der Haas-Promenade im Süden der Stadt hat man einen hervorragenden Blick auf die Altstadt. Was liegt näher als hier ein paar
Fahrrad-Fotos mit exklusivem Hintergrund zu machen? Am Abend treffen wir uns wie verabredet mit unserer Freundin. Wir besuchen sie an ihrem Arbeitsplatz im Konrad-Adenauer-Institut. Ihr Chef, der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ministerpräsidentenkandidat Dr. Johannes Gerster empfängt uns und befragt uns interessiert zu unserem bisherigen Reiseverlauf. Hier im ruhigen Diplomatenviertel finden wir später ein nettes Restaurant zum gemeinsamen Abendessen.
Über
kleine Straßen durch den Westen Jerusalems verlassen wir die Stadt. Die hügelige Landschaft zeichnet sich vor allem durch Wälder aus, recht ungewöhnlich in Israel. Da es überwiegend bergab geht, nähern wir uns schnell dem Ben Gurion Airport bei Lod. Hier prüfen wir als erstes, ob unsere
Fahrradkartons noch da sind. Beruhigt stellen wir fest, dass dies der Fall ist und geben nun zusätzlich unsere Räder und unser Gepäck in der Aufbewahrung ab. In Tel Aviv wollen wir nicht auf Beides aufpassen müssen.
Da wir bereits gegen vier Uhr wieder am Flughafen sein müssen, wollen wir diesmal auf eine Unterkunft verzichten, zumal wir in Tel Aviv sind, das den Beinamen 'Die Stadt, die nie schläft' hat. So fahren wir mit der Flughafen Shuttle Linie 222 in die Stadt und verbringen die folgenden Stunden in Restaurants, Kneipen und
am Strand. Kurz vor zwei übermannt uns dann doch die Müdigkeit, und wir lassen uns per Taxi zurück zum Flughafen bringen, um dort noch zwei Stunden zu dösen.
Schnell sind die Fahrräder in ihren
Papphüllen verstaut. Doch müssen wir sie bei den Security-Checks noch einmal auspacken? Diese Sorge bleibt unbegründet, stattdessen interessiert man sich sehr für unsere Reiseroute. Um unnötigen Diskussionen zu entgehen, möchte ich nicht unbedingt unsere Fahrt durch das palästinensische Autonomiegebiet erwähnen. Ich beginne also so detailliert wie irgend möglich unsere Route ab dem Flughafen zu beschreiben, um dennoch die Wahrheit zu sagen. Bereits nach meiner exakten Beschreibung der ersten Kilometer habe ich das Security Personal derart gelangweilt, dass deren Interesse erlischt und sie nicht weiterfragen.
Mittags landen wir im kalten, verregneten Hannover und setzen unsere Fahrt per Bahn nach Hamburg fort. Zwei ereignisreiche Wochen und 659 pannenfreie Fahrradkilometer liegen hinter uns.