Am frühen Morgen, kurz nach sechs Uhr, treffe ich mich mit Wolfgang am Bahnhof Hamburg-Altona. Um 6:23 fährt unser Zug pünktlich ab. Der Zug fährt
bis Krakau, doch das soll ja das Ziel unserer Radreise werden, so steigen wir bereits um halb zwölf in Cottbus wieder aus und schwingen uns aufs Fahrrad. Bereits kurz hinter Cottbus 'zwingt' uns eine Bierbude zu einem
ersten Halt. Natürlich nicht 'aus Spaß', wir müssen ja gebührend auf meinen Geburtstag anstoßen. Die radsportbegeisterte Bedienung klärt uns dabei über die Rennsportzentren Cottbus und Forst auf.
Seit unserer Mittagspause in Forst regnet es und das sollte sich für den Rest des Tages nicht ändern. Im strömenden Regen steuern wir auf den nördlich von Forst gelegenen neuen Grenzübergang zu. Genau dort, an der einzigen überdachten Stelle weit und breit, geht Wolfgang die Luft aus. Zum Glück nur aus dem Reifen, und der Schlauch ist schnell durch eine neuen ersetzt. Von dieser
Reparatur nehmen die Zöllner genauso wenig Notiz wie von meiner fotografischen Dokumentation derselben. Auf der eintönigen Straße nach Lubsko muss ich immer wieder gegen die aufkommende Müdigkeit kämpfen, drei Stunden Schlaf waren wohl doch zu wenig. Schließlich erreichen wir
Żagań und die dortige Jugendherberge. Das geräumige Zweibettzimmer bietet auch noch Platz für
unsere Räder. Für das Abendessen finden wir das
Restaurant Kepler, das an den von hier stammenden Vater der modernen Astronomie erinnert, eine wirklich gute Wahl. Von der netten Herbergsfrau kann ich mir später auch einen Föhn ausleihen, mit dem ich meine Schuhe trockne, während Wolfgang seinen Schlauch flickt.
Frühstück und Übernachtung gehören in Polen in der Regel nicht zusammen, diese Erfahrung mussten wir bereits bei unserer Fahrt in Masuren machen. Auch hier müssen wir uns fürs Frühstück zunächst ein Restaurant am Markt suchen, bevor es uns weiter ins Landesinnere zieht. Am Vormittag fahren wir durch das verkehrsarme Kwisatal und hoffen, am oder im restaurierten Schloss Kliczków Mittagessen zu können. Hinweisschilder auf das Schloss, auch auf deutsch, gibt es ja genug. Tatsächlich entdecken wir ein Restaurant am Schloss, doch leider auch eine Gesellschaft, die lieber unter sich bleiben möchte. So bleibt uns nur der 'Sklep', der Dorfladen, der uns immerhin Brötchen, Wurst und Bier für ein zünftiges Picknick bietet. Bei einstelligen Temperaturen ist es allerdings nicht das, wovon wir geträumt haben. So wärmen wir uns in der nächsten Stadt erst einmal bei einem Kaffee auf, bevor es auf kleinen Straßen am Schloss Grodziec vorbei nach Złotoryja geht. Die hübsch gelegene Herberge ist hier leider voll, da viele Teilnehmer eines gerade stattfindenden Chorfestivals hier untergebracht sind. Stattdessen wählen wir die etwas außerhalb liegende Pension Zalew, ein Projekt deutsch-polnischer Zusammenarbeit. Zu unserem Glück gibt es hier auch etwas zu essen. Eine freundliche Deutschlehrerin hilft uns bei der Bestellung. Das ist eigentlich nicht nötig, da wir von der Speisekarte, die nur Kleinigkeiten aufweist, so gut wie alles bestellen.
Erneut gibt's ein 'externes' Frühstück, hier im recht luxuriösen Hotel Qubus. Wir erfahren, das gerade die 'Goldwoche' in Złotoryja (dessen deutscher Name Goldberg ist) stattfindet, aber wir wollen ja Fahrradfahren. Hinter der Stadt treffen wir auf zwei deutsche Radreisende, mit denen wir ein Stück gemeinsam fahren. Sie wollen den Geburtsort ihrer Großmutter bei Breslau erkunden. Nach Breslau wollen wir zwar auch, aber noch nicht heute. In
Jawor bekommen wir unfreiwillig einen
'Reiseführer', ein älterer Herr möchte uns unbedingt die
evangelische Fachwerkkirche der Stadt zeigen. Sie ist auch tatsächlich beeindruckend, und erst später lese ich, dass sie zusammen mit der Kirche in Świdnica als größte europäische Fachwerkkirche im Jahr 2001 in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Nach einer Vereinbarung im Westfälischen Frieden von 1648 wurde ihr Bau im katholischen Schlesien der protestantischen Minderheit unter der Bedingung gestattet, nur Holz, Lehm, Sand und Stroh für den Bau zu verwenden.
Als Kulturbanause gebe ich allerdings zu, dass mich das alte Fahrrad unseres 'Reiseführers' mit sage und schreibe vier Kettenblättern mindestens genauso beeindruckt hat. Unsere 'Mittagshoffnungen' auf ein Restaurant in Dobromierz werden nicht erfüllt, wenigstens gibt es eine Tankstelle mit warmen Snacks. Auf direktem Wege fahren wir jetzt unserem Ziel,
Świdnica, entgegen. Die in unserem Plan eingezeichnete Jugendherberge existiert offenbar nicht mehr, und eine Unterkunft nach unserem Geschmack springt uns in der Innenstadt nicht ins Auge. Also fragen wir wie üblich in so einem Fall in einer Kneipe nach einer Unterkunft und kurz darauf wählen wir auf Empfehlung eines Gastes das
Hotel 'Sportowe'. Dies hat auch Herbergscharakter, das Fahrrad kommt einfach mit aufs Zimmer und wir genehmigen uns gleich ein Bier an der mit sozialistischem Charme der 70er Jahre ausgestatteten Bar.
Auf kleinen Straßen steuern wir heute auf
Wrocław zu, in Deutschland besser bekannt als Breslau, die Hauptstadt Niederschlesiens. In Kąty Wrocławskie machen wir nicht nur Mittagspause sondern ich suche auch eine Fahrradwerkstatt auf, um meinen
Steuersatz festziehen zu lassen. Ich frage einfach nur nach einem 32er Schlüssel, als der Mechaniker aber einen Blick auf das Problemteil wirft, meint er nur 'spezial' und kommt kurz darauf mit einem nagelneuen Steuersatzschlüssel aus der Werkstatt zurück. Stolz erzählt er uns, dass er dieses Werkzeug in Deutschland gekauft hat.
Die Einfahrtsstraße von Südwesten in die viertgrößte Stadt des Landes teilen wir uns zwar mit reichlich Verkehr, es ist aber noch gut erträglich. Zielstrebig erreichen wir das
Hotel Tumski auf der
Oderinsel in der Altstadt und somit auch erstmalig die Oder. Der kürzlich restaurierte Bau teilt sich in einen Hotel- sowie einen Herbergsbereich auf. Wir ordern ein 4-Bett-Zimmer im Herbergstrakt für uns alleine. Das Zimmer ist zwar reichlich vollgestellt, sein Preis macht aber auch nur ein Bruchteil des Hotelzimmerpreises aus. Danach mache ich einen zweistündigen Altstadtrundgang, bevor wir uns wieder zum Abendessen treffen. Gemessen an der nahezu vollständigen Zerstörung der Stadt im Krieg ist Breslau wieder beeindruckend
liebevoll restauriert, bzw. neu aufgebaut worden, wenn es auch im Innenstadtbereich immer wieder Häuser gibt, die wie Betonfremdkörper anmuten. Angenehme Ruhe vom Stadttrubel findet man auf der Dominsel mit all seinen klerikalen Gebäuden. Die
Kathedrale wurde bereits im 13. Jhdt. gebaut, weitere Kirchen entstanden um sie herum. Einst gehörte Breslau zu den bedeutendsten Städten Europas. Fürs Abendessen wählen wir den Ratskeller, ein Touri-Restaurant mit schlechtem Service. Endlich komme ich auch erstmals zu ein paar
Nachtaufnahmen (wozu habe ich sonst das Stativ mitgeschleppt?), bevor wir an der gemütlichen Hotelbar den Tag ausklingen lassen.
Entgegen unseren üblichen Gepflogenheiten lassen wir heute unser Gepäck zunächst im Hotel und holen nur unsere Räder aus dem Keller, denn wir wollen noch zwei Höhepunkte der Stadt besichtigen. Der Portier interessiert sich für Wolfgangs 14-Gang Rohloff-Nabe. Als wir ihm aber erzählen, dass da kein Motor drin steckt, lässt sein Interesse schlagartig nach.
Eine der neueren kulturellen Attraktionen der Stadt ist sicher das
'Panorama von Racławice', eines der größten Rundgemälde des 19. Jhdts. In einer eigens dafür geschaffenen, hässlichen Betonrotunde stellt es eindrucksvoll auf 120m x 15m die Schlacht bei Racławice am 4. April 1794 dar. Gemalt wurde es aber erst 100 Jahre nach dieser Schlacht. Für die Polen ist es mehr als ein Gemälde, zeigt es doch den legendären polnischen Sieg über die zaristische Russische Armee. Die nationale Wirkung dieses Gemäldes wurde als so brisant eingeschätzt, dass es erst ab 1985 öffentlich gezeigt werden durfte. Mit Neuziehung der Grenzen Polens nach dem zweiten Weltkrieg wurden die verbliebenen Deutschen aus der Stadt nach Westen vertrieben und die Stadt mit Bürgern aus dem bis dahin polnischen Lwiw (Lemberg) besiedelt, das nun per Abkommen von Jalta an die zur UdSSR gehörende Ukraine fiel. Auch das 'Panorama von Racławice' wurde aus Lwiw mitgebracht.
Ein weiteres kulturelles Highlight der Stadt, die Aula Leopoldina der
Universität bleibt uns leider verschlossen, und so setzen wir unsere Reise auf dem Fahrrad fort. Unser Reiseführer findet viel versprechende Worte über
Brzeg (Brieg), einem kleinen Städtchen an der
Oder. Wir können allerdings nach einer kurzen Stadtansicht die Begeisterung nicht teilen, und entscheiden am Nachmittag, weiter nach
Opole (Oppeln) zu fahren. Sind ja auch nur noch 45 km. Diese reißen wir aber auf der Oder-Nordseite auf guter Straße mit wenig Verkehr in Rekordzeit ab, sodass wir am frühen Abend in der ruhigen Kreisstadt ankommen. Wir wählen das im Reiseführer beschriebene kleine Hotel Zacisze, das ruhig gelegen ist, aber so nah an der Innenstadt, dass wir unsere abendliche Stadterkundung zu Fuß durchführen können.
Opole ist touristisch nicht gerade spektakulär, aber eine sehr angenehme, grüne Stadt. Bevor wir sie verlassen, werfen wir noch einen Blick in die Kathedrale und besuchen die grüne 'Groschenbrücke'. Zwischen Oder und Bahn folgen wir der Straße 423 durch Industriegebiete nach Südosten. Vor uns liegt jetzt ein bedeutendes katholisches Pilgerziel: Góra Świętej Anny, zu deutsch Sankt Annaberg. Ungeachtet der gerade Herrschenden, gilt St. Annaberg unter Katholiken seit über 500 Jahren als heilige Stätte und der Papst war natürlich auch schon da. Zunächst müssen wir aber den gut 400m hohen Berg per Rad 'erklimmen', endlich mal eine 'Bergwertung' nach fünf Tagen im Flachland. Oben ist nicht viel los, nur ein paar versprengte deutsche Touris streifen um die Souvenirläden. Im Inneren ist die Kirche zwar ganz hübsch, angesichts ihrer anscheinenden Berühmtheit hätte ich der äußeren Fassade allerdings etwas weiße Farbe gegönnt. Nachdem wir uns etwas unterhalb des Gipfels stärken, setzen wir unsere Fahrt nach Oberschlesien fort. Auf einem Feldweg drohen wir uns zwischenzeitlich hoffnungslos zu verfahren, irgendwann kommen wir aber doch am Kanał Gliwicki an und können uns wieder orientieren. Wie besagter Kanal, führt auch unser Weg nach Gliwice (Gleiwitz). Im Reiseführer wird dieser Ort ausgespart, zu Unrecht wie wir finden. Gleiwitz ist eine lebhafte Universitätsstadt mit hübscher Innenstadt. Mangels Alternativen bleibt zwar nur ein recht teures Hotel als Unterkunft, dafür kommen die Räder mal wieder mit aufs Zimmer.
Kurz hinter Gleiwitz passiert es: Wolfgang tritt ins Leere. Verdutzt stellt er fest, dass sich seine rechte Pedale zerlegt hat. Kaum zu fassen, verrichtet sie doch gerade einmal seit gut 44000km ihren Dienst. Mit einer Reparatur halten wir uns nicht auf, denn wir sind erst vier Kilometer hinter der Stadt und ich habe am Abend zuvor einen Fahrradladen am Marktplatz gesehen. Dieser Laden erweist sich als gut sortiert und eine freundliche Bedienung kann uns
schnell weiterhelfen. Wenig später schlängeln wir uns durch
waldreiches Gebiet südlich am oberschlesischen Industrierevier vorbei.
Das
Schloss von Pszczyna mit Versailles zu vergleichen, wie unser Reiseführer es tut, ist wohl zu hoch gegriffen, der zugehörige
Schlosspark überzeugt uns aber: Diese wunderschön angelegte grüne Oase ist einen Besuch wert. Weiter geht's nun nach Süden und wir überlegen, wie wir am Goczałkowice-Stausee vorbeikommen. Auf unserer Karte ist zwar eine Straße zum Staudamm und auch vom Staudamm weg eingezeichnet, nicht jedoch dazwischen. Da wir aber davon überzeugt sind, dass über jeden anständigen Damm eines Stausees eine Straße führen muss, versuchen wir es einfach. Nun, die Straße ist da, genauso wie ein breites Gitter mit Verbotsschildern. Bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass das
Gitter nur sehr halbherzig verschlossen wurde. Geradezu eine Aufforderung zur Missachtung. Tatsächlich können wir unbehelligt den einen Kilometer über den Damm fahren, bevor es auf dem Boden der Legalität und auf öffentlichen Straßen in Richtung Bielsko-Biała weitergeht. Bei unserer illegalen Dammüberquerung haben wir gar nicht gemerkt, dass wir hier erstmalig auf der Reise an die Weichsel kommen. Wir wollen mitten durch das im Tal gelegene Bielsko-Biała fahren. Diesen Entschluss fassen wir, bevor wir feststellen, dass es sich bei der Stadt um eine vorübergehende Großbaustelle handelt. Durch diese Sandwüste kommt man nicht einmal mehr per Fahrrad, und so müssen wir wie unsere motorisierten Leidensgenossen einige Umleitungen in Kauf nehmen. Die Fahrt aus der Stadt auf der verkehrsreichen Schnellstraße 69 macht keinen Spaß. Den finden wir aber schnell wieder, als wir anschließend auf Nebenstraßen die Kleinen Beskiden überqueren und uns nach
Żywiec hinabrollen lassen. Das hübsche Städtchen inmitten der Beskiden gilt als Bierhauptstadt Polens. Auch wir können nach umfangreichen Tests bestätigen, dass hier das beste Bier des Landes gebraut wird. Ist es ein Wunder, die Stadt liegt doch nur einige Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Im Hotel Maxim bewacht zunächst der hoteleigene Hund unsere Räder, bevor wie sie in den Keller stellen dürfen. Wir brauchen sie heute nicht mehr, denn der
Rynek (Marktplatz) mit einer guten Auswahl an Restaurants und Kneipen ist nur wenige hundert Meter entfernt.
Bevor wir die Stadt verlassen, besuchen wir den in der Innenstadt gelegenen
Schlosspark sowie den Wochenmarkt davor. Dann machen wir uns wieder auf den Weg nach Norden. Erneut müssen wir die Kleinen Beskiden überwinden, wir entscheiden uns diesmal für den 718m hohen
Kocierska-Pass. Der ist schnell erklommen, und oben gesellt sich ein polnischer Mountainbiker zu uns. Schmunzelnd ruft er auf Wolfgangs Kilometerzähler den Tageskilometerstand sowie die niedrige Durchschnitts-geschwindigkeit ab. Bei der Anzeige des Gesamtkilometerstandes weicht sein Schmunzeln dann einer anerkennenden Miene. Wir rollen hinab nach Andrychów, eine nicht erwähnenswerte Stadt, wenigstens finden wir hier in einem Imbiss etwas zu Essen. Inzwischen haben wir Schlesien verlassen, nun befinden wir uns in der
Provinz Małopolskie (Kleinpolen).
Hier ist unser nächstes Ziel kein touristisches, sondern wir folgen unserem Geschichtsinteresse und -empfinden. Wir steuern die kleine Stadt Oświęcim an, besser bekannt unter ihrem deutschen Namen: Auschwitz.
Doch zunächst sind wir irritiert: Kein Hinweis auf das
ehemalige Konzentrationslager. Wir fahren einige Zeit hin- und her, bevor wir an der Hauptstraße kleine Hinweisschilder mit dem unpassenden Begriff 'Muzeum' finden. Ihnen folgend, finden wir das Gesuchte, und trotz des bereits fortgeschrittenen Nachmittags, es ist schon fünf Uhr, kommen wir noch hinein. Anhand der äußerlich akkurat gebauten Häuserblöcke lässt sich das hier verübte Verbrechen nicht erahnen. Um so mehr gelingt dies durch die beklemmend getreue Dokumentation der Lebensbedingungen der vielen Tausend Häftlinge. Die riesig große Menge ihres sortierten Hab und Guts wie Brillen, Kochtöpfe und Prothesen lässt auf die unvorstellbare Anzahl von Menschen schließen, die hier inhaftiert und in der Mehrzahl schließlich getötet wurden. Obwohl es bereits sieben Uhr abends ist und wir noch keine Unterkunft haben, haben wir beide das Bedürfnis, nicht in Oświęcim zu bleiben, sondern noch eine Weile Fahrrad zu fahren. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir das 15km entfernte Chełmek. Hier gab es mal ein Hotel, inzwischen ist es nur noch eine Ruine. Doch im Nachbarort Libiąż haben wir Glück: Eine brandneue Pension begrüßt uns am Ortseingang, für das moderne Zimmer bezahlen wir nur 140 zl inklusive Frühstück.
Heute haben wir eine recht kurze Etappe vor uns. Eigentlich müssen wir nur auf der Straße 780 gen Osten fahren, bis wir in unserem Ziel, Krakau, ankommen. Doch in Żarki biegen wir rechts ab, um in Mętków die Weichsel zu überqueren. Nach einiger Zeit über schöne
Waldwege fragen wir uns, wann wir endlich in dem fünf Kilometer entfernten Ort ankommen würden. Wir sind doch schon viel weiter gefahren. Schließlich kommt tatsächlich ein Ort, und der kommt uns auch noch bekannt vor: Richtig, wir sind wieder in Zarki angekommen, an der gleichen Kreuzung, an der wir die Hauptstraße verlassen hatten. Also nehmen wir doch die 780. In Tyniec treffen wir dann endlich auf die Weichsel, die per Landkarte 'versprochene' Fähre gibt es aber nicht mehr. So müssen wir die Autobahnbrücke nehmen, an der es glücklicherweise auch einen
abgetrennten Radweg gibt. Nach kurzer Stärkung einige Kilometer vor der Stadt liefern wir uns noch ein Rennen mit zwei Mountainbikern, bevor wir am
Ufer der Weichsel in die drittgrößte Stadt Polens einfahren. Und das ist ein wahres Vergnügen: Auf perfekten Radwegen gelangen wir mitten in die Stadt, dort tummeln sich Massen von Menschen auf dem riesigen
Rynek, dem Marktplatz.
Nach kurzer Unterkunftssuche -die präferierte Klosterherberge an der Weichsel gibt es leider nicht mehr- entscheiden wir uns für das Hotel Niebieski, ebenfalls direkt an der Weichsel gelegen. Schnell machen wir uns auf, die Stadt zu erkunden. Hier konzentrieren wir uns am heutigen Abend vor allem auf das jüdische Viertel
Kazimierz, das vor dem Holocaust als eines der größten Europas galt. In einem jüdischen Restaurant nehmen wir auch unser Abendessen ein. Das ruhige, atmosphärische Viertel steht im Kontrast zur lebhaften Innenstadt, und wurde einer größeren Öffentlichkeit vor allem durch den hier gedrehten Film 'Schindlers Liste' bekannt. Auf einen Abstecher zum Wawel, dem
Burgberg, lege ich auch noch großen Wert, wie auch auf die obligatorischen
Nachtaufnahmen am Rynek. Auf dem Heimweg zum Hotel schauen wir noch bei einem gerade zu Ende gehenden Festival an der Weichsel vorbei, bevor wir mit einem letzten Bier an der Hotelbar den Tag ausklingen lassen wollen. Es ist nämlich nicht nur spät, sondern auch empfindlich kalt geworden. Doch im Hotel gibt es keine Bar! Das geht natürlich nicht, also fahren wir doch wieder los. Einige hundert Meter weiter in Richtung Innenstadt finden wir eine
stimmungsvolle Kneipe, von der wir uns dann gar nicht mehr trennen können...
Der Kneipenbesuch am Vortag hindert uns nicht, früh um sieben Uhr aufzustehen. Nach dem Frühstück fahren wir zum 15km entfernten
Salzbergwerk Wieliczka. Dieser erst vor kurzem stillgelegte Stollen war über 700 Jahre als Bergwerk in Betrieb und wurde 1978 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Erstmalig haben wir einen 'bewachten' Parkplatz für unsere Räder, wir zahlen 6 zł für die Unterbringung in einem alten
Schuppen. Pünktlich zur englischen Führung um 10:00 Uhr haben wir Eintrittskarten gekauft, dann beginnt die gut zweistündige Führung. Dabei besichtigt man nur 2km der insgesamt 250km langen Gänge, bzw. 20 der über 2000 Kammern. Über Jahrhunderte haben Bergleute hier aus Salz beeindruckende
Kunstwerke geschaffen. Das Highlight ist die 101m unter der Erde gelegene
Kapelle der heiligen Kinga, 54m lang und bis zu 12m hoch. Den praktischen Abschluss bildet dann das 125m unter der Erde gelegene Restaurant in der Budryk-Kammer. Wieder am Tageslicht angekommen, kehren wir zurück in die Stadt. Zunächst kaufen wir am
Bahnhof die Fahrradkarte für die Rückfahrt, dann stehen die Highlights der Altstadt auf dem Programm. Krakau ist im Gegensatz zu den meisten in Polen gelegenen Städten nahezu unzerstört geblieben. Durch die vielen Kulturgüter, die
Lage am Fluss sowie den Burgberg könnte man die Stadt als verkleinerte Version von Prag bezeichnen. Die gotische
Marienkirche am Rynek ist an sich schon sehenswert, Berühmtheit hat sie aber durch den
Flügelaltar von Veit Stoß erlangt. Der 11 x 13m große Altar entstand Ende des 15. Jhdts. und gilt als der größte seiner Art in Europa. Ebenfalls am Rynek stehen die
Tuchhallen. Dieser langgestreckte Markthallenkomplex wurde im 16. Jhdt. von italienischen Baumeistern erbaut.
Und schließlich der
Wawel: Der Burgberg mit Schloss und Kathedrale war seit dem 11. Jhdt. Sitz der polnischen Könige. Es fällt uns nicht schwer zu glauben, dass es sich bei Krakau um das kulturelle Zentrum Polens handelt. Unseren letzen Abend der Reise verbringen wir zunächst am Rynek, wo wir beim Abendessen dem immer noch bunten Treiben auf dem Platz zuschauen. Ach ja, wir wollten ja noch für die Heimreise einkaufen. Gesagt getan. Im immer noch gut frequentierten Supermarkt überlege ich, ob ich jemals am Pfingstsonntag um 22:30 eingekauft habe. Wahrscheinlich nicht. Abschluss des Tages ist erneut die am Vortag liebgewonnene Kneipe am Weichselufer. Interessiert stellen wir fest, dass man hier eine Wurst kaufen kann, um sie dann direkt vor Ort
selbst zu grillen. Eine echte Krakauer! Obwohl bereits gut gesättigt, müssen wir das natürlich ausprobieren. Kurze Zeit später grillen wir die größte Krakauer, die wir je gesehen haben... Eine weitere Herausforderung stellen die Biergläser dar. Wir möchten jeder ein Żywiec-Glas mitnehmen, und, ehrlich wie wir sind, käuflich erwerben. Aber das geht offenbar nicht, stattdessen bekommen wir die Gläser von der freundlichen Bedienung geschenkt.
Heute müssen wir nur noch zum Bahnhof fahren. Das geht sehr bequem, wir folgen zunächst dem 'Weichsel-Schnellweg', dem breiten Radweg am Fluss. Dann biegen wir in den die Innenstadt umspannenden Grüngürtel, auch hier fahren wir auf erstklassigen Radwegen. Dieser Grüngürtel entstand, nachdem man vor etwa 200 Jahren die Stadtmauern abriss. Um 8:50 fährt
unser Zug aus dem Bahnhof Kraków Główny. In den Folgestunden passieren wir etliche Städte und Regionen, die wir in den zehn Tagen zuvor mit dem Rad durchfahren haben. Am Abend kommen wir schließlich
ohne Umsteigen wieder in Hamburg-Altona an.
Auch diese Radreise haben wir erfolgreich abgeschlossen und viele Eindrücke einer sehenswerten europäischen Kulturregion im Gepäck.