Aus Zeitgründen wählen wir einen
Flug nach Helsinki. Nach zwei Stunden landen wir in der finnischen Hauptstadt. Der Flughafen liegt etwa 20km nördlich der Innenstadt. Auf unserem Weg dorthin kaufen wir ein und werden mit den finnischen Preisen konfrontiert. Selbst Mineralwasser ist sehr teuer und kostet etliche Euros. Aber wir werden erst zum Ende unserer Reise wieder nach Finnland kommen. In Estland und auf dem Lande in Russland sollte es preiswerter sein.
Während unserer Unterkunftssuche fängt es an heftig zu regnen. Die anvisierte Jugendherberge ist voll, so nehmen wir das erstbeste Hotel in der Innenstadt. Das Hotel 'Finn' ist recht primitiv, aber ok. Die Fahrräder kommen mit in den 6. Stock, zum Glück gibt es einen Aufzug. Auf eine ausgedehnte Sightseeing-Tour verzichten wir, wir hatten ja bereits bei unserer Rückfahrt 2007 einen Abstecher nach Helsinki gemacht und den Dom sowie den Hafen um die riesige Uspenski-Kathedrale besucht. Diesmal schauen wir uns nur das neoklassizistische Portal des Hauptbahnhofs mit den
riesigen Figuren sowie den hübschen Esplanadi-Park an. Statt weitere Sehenswürdigkeiten anzuschauen, klappern wir stattdessen die Fährterminals ab, um die Überfahrt nach Tallinn am nächsten Morgen zu organisieren. Bei Tallink haben wir Erfolg, mit diesem Schifffahrtsunternehmen waren wir bereits vor zwei Jahren in umgekehrter Richtung gefahren.
Pünktlich um 09:30 finden wir uns am Fährterminal ein und können auch umgehend auf die Fähre fahren. Die
Überfahrt dauert zweieinhalb Stunden. Das Mittagessen nehmen wir kurz vor dem Ziel auf dem Schiff ein, so brauchen wir dafür nicht mehr anzuhalten. Auch in Tallinn lassen wir das Besuchsprogramm aus, wir haben die Stadt von unserer Reise zwei Jahre zuvor noch gut in Erinnerung. Damals haben wir die reizvolle Altstadt bei schönstem Wetter besucht. Diesmal ist es durchwachsen und kühl, so beschränken wir uns auf Geldtauschen und das Auffüllen unserer Wasservorräte.
Auf einer kleinen Straße fahren wir ostwärts aus der Stadt. Wenig später müssen wir für etwa 10km die E20 nutzen, doch auch hier herrscht nur mittelmäßig viel Verkehr, und es gibt einen breiten Standstreifen. Am Jägala-Fluss machen wir einen Abstecher zu dem gleichnamigen Wasserfall. Immerhin gilt der
Jägala-Fall mit einer Breite von 50 Metern und einer Höhe von 8 Metern als größter Wasserfall des Landes. Über
kleine Straßen auf der
Eurovelo Ostseeküsten-Radroute geht es weiter nach Osten. An die Küste selber kommen wir erst wieder bei Vösu. Diesen Ort hatten wir als heutiges Ziel erkoren, denn hier sollte es fünf Unterkünfte geben. Wir finden sie auch alle, aber zu unserer Überraschung sind sie alle voll belegt. In einem
Grillrestaurant erfahren wir den Grund: Im Ort findet gerade ein Bridgeturnier statt. Die nette Bedienung im Restaurant will uns helfen, und telefoniert Hotels in den Nachbarorten an. Schließlich findet sie ein recht teures Hotel, ein ganzes Stück entfernt. Immerhin haben wir es sicher, und wir entscheiden, aufgrund der fortgeschrittenen Zeit zum Essen zu bleiben. Unsere gute Erfahrung mit estnischem Essen wird bestätigt, auch hier ist es sehr lecker. Während wir uns stärken, ist unsere Bedienung nicht untätig. Sie hat weiter nach Unterkünften gesucht, und präsentiert uns nun eine kleine, preiswerte Pension, nur 6km entfernt. Das Angebot nehmen wir dankbar an. Problemlos finden wir in dem kleinen Ort Käsmu an der gleichnamigen Bucht die
'Laane-Pension' in einer großzügigen Gartenanlage.
Mit einem sehr guten Frühstück starten wir in den Tag. Fast den ganzen Tag über fahren wir auf
kleinen Straßen ohne nennenswerten Verkehr. Am Vormittag geht es durch ausgedehnte Wälder. Bei Vergi machen wir einen Abstecher zum beschaulichen
'sadam', estnisch für 'Hafen'. Die Küste bekommen wir ansonsten kaum zu Gesicht. Eine unvermittelt auftauchende Straßensperre gilt nicht uns, man lässt uns passieren. Unterwegs treffen wir ein Rentnerpärchen, die Beiden sind per Fahrrad von Köln nach Estland gefahren. Wir beneiden sie ein wenig, als sie uns erzählen, dass sie genug Zeit haben und spontan entscheiden werden, bis wohin ihre Reise geht.
Eine Einkehrmöglichkeit zum Mittagessen finden wir erst in Kunda. Im Dorfpub gibt es eine Auswahl von zwei Gerichten, wir nehmen das Huhn. Leider werden wir auch heute wieder nicht vom Regen verschont. So fahren wir am Nachmittag 50km über eine eher langweilige Straße bei Regen bis nach Saka Mõis. Hier lockt uns ein
Spa-Hotel, dessen Sauna- und Thermalbereich wir zwei Stunden nutzen, bevor wir im Hotelrestaurant das Abendessen einnehmen. Das
Essen ist exquisit, für uns nach 108km heute aber zu wenig. Es muss also noch ein Hauptgang her, was die Kellnerin in Erstaunen versetzt.
In der Nacht hat es heftig geregnet. Auch heute ist das erste Stück der Etappe wieder das schönste. Es geht erstmals direkt
am Meer entlang, zwar auf rauem Asphalt, dafür gibt es aber kaum Verkehr. Nach knapp 30km müssen wir hinter Voka wieder auf die E20. Regen setzt ein, mit Rückenwind und auf glatter Fahrbahn kommen wir aber schnell voran. Wir sind in Grenznähe, zudem an der EU-Außengrenze. Da gibt es auch auf der Europastraße wenig Verkehr, und nur ein paar LKW sind zu sehen. Nach 70km erreichen wir zur Mittagszeit Narva, die drittgrößte und östlichste Stadt Estlands. Ein
Stadtmonument sowjetischer Bauart begrüßt uns am Ortseingang. Etwa 95% der Einwohner gehören der russischen Minderheit an, so ist es kein Wunder, dass hier alles auf Kyrillisch ausgeschildert ist. Zum Mittagessen wählen wir das
'100% China-Restaurant', dessen Essen nach unserer Einschätzung allerdings höchstens 20% chinesisch ist. Wir beklagen uns aber nicht, denn die Portionen sind groß und schmackhaft.
Der Narva-Fluss trennt das estnische Narva vom russischen Iwangorod, und somit auch die EU von Russland. Beiderseits des Flusses gibt es eine Festung, in Narva ist es die einst vom Deutschen Orden gebaute
Hermannsfeste. Die
Festung Iwangorod wurde Ende des 15. Jhdt vom russischen Zaren Ivan III. errichtet und in der Folge immer weiter ausgebaut. An der Grenze lässt man uns zu unserer Überraschung partout nicht auf die Autospur, wie sonst üblich. Wir müssen uns also mit unseren Rädern durch das enge Grenzhäuschen zwängen. Die estnische Grenzbeamtin schaut grimmig, als wir etwas ungeduldig werden. Auf russischer Seite muss eine Einreisekarte ausgefüllt werden. Einige Leute warten vor uns in der Schlange. Unbeeindruckt von dem Treiben schläft eine Katze seelenruhig und rücklings auf den Einreiseformularen. Der russische Zollbeamte lässt alibi-mäßig eine Fahrradtasche öffnen, ist aber am Inhalt nicht weiter interessiert. Insgesamt dauert der
Grenzübertritt nur eine halbe Stunde, wir verlieren aber eine zusätzliche Stunde mit dem Eintritt in die Moskauer Zeitzone.
Auf den gut 20km nach Kingissepp rollen wir schnell dahin. Kingissepp, zu Deutsch 'Jamburg', erhielt seinen Namen 1922 nach dem estnischen Revolutionär Viktor Kingissepp. Nach dem mittlerweile obligatorischen
'Ortseingangsschildfoto' finden wir unser Hotel Luzhskiy Bereg gut ausgeschildert in einem Park vor der Stadt am Fluss Luga. Da es damals das einzige erkennbare Hotel im Ort war, hatte ich es vorgebucht. Als auf eine Fax-Anfrage keine Antwort kam (eine E-Mail Adresse gab es damals noch nicht), bat ich einen russischen Kollegen, dort anzurufen. Der Kollege teilte mir mit, dass eine Übernachtung kein Problem sei, man aber im Hotel sehr überrascht gewesen sei. Es ist offenbar noch nicht vorgekommen, dass westliche Gäste dort abgestiegen sind. Unser
Zimmer ist klein, aber sauber und hell, was man beides von der Dusche auf dem Gang nicht behaupten kann, immerhin funktioniert sie. Da wir noch kein russisches Geld getauscht haben, fahren wir in den Ort. Bei der Bank heben wir den Höchstbetrag 5000 Rubel ab, das sind etwa 100€. Fürs Erste sollte das reichen.
Unser erstes russisches Frühstück auf dieser Reise besteht aus Instant-Kaffee, Blini und warmem Käsekuchen. Im Ort wollen wir etwas einkaufen. Im Laden werden unterschiedliche Waren an getrennten Theken angeboten, bei denen man auch einzeln bezahlen muss. Sicherheitshalber holen wir noch einmal Geld an einem Automaten. Bevor wir weiterfahren, schauen wir uns noch ein wenig in der Stadt um. Auffällig ist die barocke
Katharinenkathedrale aus dem 18. Jhdt. Die Stadt wurde im Krieg stark beschädigt. Sie hat unter der deutschen Besatzung sehr gelitten, dementsprechend sehen wir einige
Denk- und Mahnmäler. Vormittags fahren wir auf der E20 mit wechselhaftem Belag. Es geht durch mehrere kleine Dörfer mit
Plattenbauten, aber auch hübschen
Holzhäusern mit schönen Gärten. Zum Mittag finden wir in Begunitsy ein einfaches Lokal im Stil der 70er Jahre, das
Café 'Oasis'. Außer uns sind noch einige Bauarbeiter dort. Die meisten der auf der Speisekarte gelisteten Gerichte gibt es nicht mehr, dafür umfasst die enggeschriebene
Wodka-Karte zwei Din-A4-Seiten. Die geringe Auswahl beim Essen wirkt sich nicht auf dessen Qualität aus. Wir bekommen ein sehr schmackhaftes
Gericht, das man etwa als Ćevapčići mit Kartoffelrösti umschreiben kann.
Auch in Peterhof haben wir ein vorgebuchtes Hotel. Das noble
'Samson' direkt gegenüber vom
Schlosspark ist nicht vergleichbar mit dem Hotel vom Vortag. Für unsere Räder wird uns sofort Platz im Gepäckraum angeboten. Auch hier achten wir wieder darauf, eine Hotelbestätigung zu erhalten, uns wurde gesagt, wir würden sie bei der Ausreise benötigen. Am Abend ist es zu spät für die Besichtigung des berühmten Zarenschlosses, wir schauen nur kurz in den
Garten vor dem Schloss. In der Nähe unseres Hotels finden wir schließlich ein gutes Restaurant.
Am Vormittag starten wir unser erstes Kulturprogramm. Das Zarenschloss Peterhof, von Zar Peter Anfang des 18. Jhdt. als seine Sommerresidenz gebaut, liegt direkt vor unserem Hotel. Mit Blick auf die lange Besucherschlange entscheiden wir, nicht das
Schloss und die
Schlosskirche zu besichtigen, sondern uns auf die riesige Gartenanlage zu konzentrieren. Der
Obere Garten, vor dem Palast gelegen, ist frei zugänglich und symmetrisch im Barockstil gehalten. Den Hauptteil der Gartenanlage macht der Untere Park aus. Er liegt zwischen Palast und Ostsee und ist 500m breit und 2,5km lang. Sein zentraler Teil fügt sich um den 400m langen
Kanal, der vom Palast zur Ostsee führt. In der gesamten Gartenanlage gibt es
Wasserspiele mit 176
Fontänen. Die größte davon, die
'Große Kaskade' besitzt alleine 225 Skulpturen. Dazu gibt es etliche kleine
Paläste und Pavillons im Park. Nach zwei Stunden haben wir zwar erst einen Teil des Parks gesehen, wir brechen aber nun auf, denn wir haben noch ein weiteres Tagesziel.
Auf dem Weg nach Sankt Petersburg passieren wir die
Peter-und-Paul-Kathedrale in Peterhof sowie die
Marine-Universität in Strelna. Um kurz vor ein Uhr erreichen wir die nördlichste Millionenstadt der Welt. Ausgerechnet hier gibt es nur ein bescheidenes
Ortsschild. Die Straßen sind gut, aber es herrscht viel Verkehr. Kein Wunder, denn in der viertgrößten Stadt Europas leben fast 5 Millionen Einwohner. Eine Stunde später sind wir an unserer Unterkunft. Das
Hotel 'Na Muchnom' liegt zentral an der belebten Sadovaya Straße in einem Jugendstilgebäude, gleich neben der Wirtschaftsuniversität. Es ist im internationalen Jugendherbergsverband gelistet und einfach, aber sauber. Unser
Zweibettzimmer hat sogar einen Fernseher. Unsere Räder finden im Gepäckraum Platz. Wir nehmen sie aber gleich wieder mit, um am Nachmittag eine erste Erkundungstour durch die Stadt zu machen. Nach fünf grauen Tagen kommt pünktlich in Sankt Petersburg die Sonne durch. Wir fahren zunächst zur historischen
Bankbrücke am
Gribojedow-Kanal, an
Kazaner Kathedrale,
Erlöserkirche und
Russischem Museum vorbei zum Fluss
Moika und kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Prachtbauten, wohin man blickt, viele davon
Jugendstilpaläste. Was für eine Stadt!
Es wird viel
geheiratet in St. Petersburg, überall finden Hochzeiten statt. Und man zeigt sich dabei, am liebsten in einer
Stretch-Limo. Schließlich kommen wir an die Newa, dort genießen wir den Blick auf die
Peter-und-Paul-Festung. Hier war die Stadt im Jahr 1703 entstanden. Schräg gegenüber am Südufer des Flusses liegt die Eremitage mit dem
Winterpalast. Auch sie ist zentraler Bestandteil der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Sankt Petersburger Innenstadt. Zum Abendessen finden wir ein rustikales Restaurant unweit unserer Unterkunft, bevor wir in einer Kneipe am Sennaia-Platz den unterhaltsamen Tag abschließen.
Zum Frühstück haben wir die Wahl zwischen Nudeln und Haferflocken. Wir nehmen die Nudeln. Erneut ziehen wir mit dem Fahrrad los, die Stadt ist einfach zu groß zum Laufen. Unser erster Weg führt uns zum Kaufhaus
'Gostiny Dwor'. Das geschichtsträchtige Warenhaus ist das zweitgrößte Russlands, seine Fassade ist über einen Kilometer lang. Über den Newski-Prospekt fahren wir in Richtung Newa.
Klassizistische Paläste und Jugendstilbauten, wie das
Singer-Haus von 1904, säumen den Prachtboulevard. An der
Eremitage wartet bereits eine lange
Menschenschlange auf Einlass. Wir wollen die Zeit lieber draußen verbringen, so fahren wir weiter zur
Admiralität, eines der Wahrzeichen der Stadt. Das fast 14m hohe Bronze-Standbild nebenan, der
'Eherne Reiter', stellt Zar Peter dar, wen auch sonst. Dahinter befindet sich die
Isaakskathedrale, ebenfalls ein Bauwerk der Superlative. Sie ist die größte Kirche Sankt Petersburgs und eine der größten sakralen Kuppelbauten der Welt. In der Kirche finden über 10000 Menschen Platz. Von der Kuppel aus verschaffen wir uns einen
Überblick über die Stadt. Auf der Wassiljewski-Insel finden wir hinter dem
Kriegsmarinemuseum ein
'No Fish Restaurant'. Ideal für Frank, der bisher noch nicht als Fischliebhaber aufgefallen ist.
Am Nachmittag fahren wir zur nahe gelegenen Peter-und-Paul-Festung auf der Haseninsel. Das historische Zentrum der Stadt hat fast dörflichen Charakter. In der Mitte der Festungsanlage steht die barocke
Peter-und-Paul-Kathedrale, ein weiteres Wahrzeichen von St. Petersburg. Als nächstes steht die
Smolny-Kathedrale im gleichnamigen Kloster mit seiner leuchtend blau-weißen Fassade auf dem Programm. Sie liegt etwa fünf Kilometer entfernt und ist perfekt restauriert, wie fast alle Bauwerke der Stadt. Wir fragen uns, ob dieser Umstand daran liegt, dass Sankt Petersburg die Heimatstadt sowohl des Präsidenten, wie auch die des Regierungschefs Russlands ist. Nach der intensiven Stadtbesichtigung ist Zeit für eine Pause. Dazu kommt uns der
Taurische Garten gerade recht. In diesem hübschen Park entspannen wir bei einem frisch gezapften Bier.
Über den
Newski-Prospekt fahren wir zurück. Obwohl es keine Fahrradinfrastruktur gibt, macht es überraschenderweise Spaß, in dieser Großstadt Fahrrad zu fahren. Es herrscht in der Innenstadt deutlich weniger Verkehr als wir erwartet haben, die Straßen sind breit und zudem perfekt asphaltiert. Um Schlaglöcher brauchen wir uns hier keine Sorgen zu machen. Am Abend fahren wir erneut mit den Rädern los, diesmal auf die Krestowski-Insel. Nachdem wir an der Baustelle des neuen Stadions (später wird es einmal die Gaszprom-Arena sein) ein
Sunsetbier genossen haben, kehren wir bei
'Karl & Friedrich' ein. In diesem Remake eines bayerischen Biergartens gibt es selbstgebrautes Bier, Brezeln und
Haxen, serviert von Kellnerinnen in Dirndln. Nach diesem Kulturschock machen wir ein paar
Nachtaufnahmen am Winterpalast und beschließen Tag in einer netten Kneipe. Hier gibt es
Räuchersprotten als Beilage zum hauseigenen Bier. Um gemütliche Kneipen zu finden, brauchen wir in dieser Stadt nie lange suchen.
Heute gibt es
Reis und Würstchen zum Frühstück und eine undefinierbare Art von Käseersatz. Wir gehen zu Fuß los, denn wir wollen heute auch Metro fahren, da wäre das Fahrrad hinderlich. Zunächst geht es zum
Kusnetschny Markt, laut Reiseführer ein Bauernmarkt. Er entpuppt sich jedoch als normale Markthalle, wie man sie überall in Europa findet. Auf dem Weg passieren wir die prächtige
Rossi Gasse und die
Wladimir-Kirche. Als nächstes fahren wir von der Haltestelle
Dostoyevskaya für zwei Stationen mit der
Metro zum Alexander-Newski-Kloster. Die Haltestellen sind sehr groß und liegen tief unter der Erde, wir hatten sie allerdings noch prachtvoller erwartet. Die Einzelfahrt kostet 20 Rubel. Der
Klosterkomplex liegt in grüner Umgebung und strahlt Ruhe aus. Wie üblich in orthodoxen Kirchen, werden auch hier
Ikonen verehrt. Nachdem wir die einen Kilometer lange
Alexander-Newski-Brücke überquert haben, finden wir auf der anderen Seite der Newa ein Restaurant zum Mittagessen. Hier verfestigt sich unser Eindruck, dass unter dem Begriff 'Schaschlik' irgendeine Art von gebratenem Fleisch zu verstehen ist.
Per Metro geht es wieder zurück zum Sennaia-Platz. Nach kurzem Stopp in der Unterkunft ziehen wir doch wieder mit dem Rad los. Das kleine
Café 'Gorka' im Taurischen Garten hat uns gestern so gut gefallen, so dass wir uns dort auch heute wieder ein Nachmittagsbier genehmigen. Auf dem Weg dorthin passieren wir die rote
Panteleimon-Kirche und die
Christi-Verklärungs-Kathedrale auf einem kreisrunden Platz. Da wir bisher dem mächtigen
Generalstabsgebäude auf dem
Schlossplatz nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, holen wir das jetzt nach. Zum Abendessen gibt es etwas Heimisches: Im seit 1989 von Hamburgern betriebene Restaurant 'Tschaika' am Gribojedow-Kanal bekommen wir ein gutes
Bauernfrühstück bei einem Blick auf die
Erlöserkirche. Als Nachtisch wählen wir doch wieder eine russische Spezialität: Wir fahren in den 'Blini-Hof' und lassen uns dort die leckeren
Pfannkuchen schmecken. Obwohl es viel Betrieb im Restaurant gibt, hat sich ein
Kater auf dem Stuhl neben mir zusammengerollt und lässt sich durch nichts stören.
Bevor wir die Stadt verlassen, legen wir einen Foto-Stopp an der
Eremitage ein. Wir wollen eine Abkürzung über die Jelagin-Insel durch den ' Zentralpark für Kultur und Ruhe' nehmen, doch daraus wird nichts, Fahrräder dürfen nicht hinein. So müssen wir einen 6km langen Umweg in Kauf nehmen. Auf der
Hauptstraße fahren wir aus der Stadt. Wieder gibt es nur ein einfaches
Ortsausgangsschild. Doch als wir schon gar nicht mehr daran geglaubt haben, sehen wir ein riesiges
Ortsmonument. Das kann man gelten lassen. Es herrscht viel Verkehr, aber wir kommen zügig voran. In Sestrorezk finden wir ein einfaches, aber gutes
Mittagessen im Dorfrestaurant. Hinter dem Ort beginnt ein Fahrradstreifen, der zu einem richtigen
Radweg wird. Eigentlich nicht allzu verwunderlich, denn dieser Küstenabschnitt am Finnischen Meerbusen, dessen Verwaltungseinheit den Namen 'Kurort' trägt, ist das Naherholungsgebiert der Petersburger. In Repino gibt es einen richtigen
Sandstrand, und der ist auch gut besucht. Kunstvolle
Sandburgen schmücken den Strand.
Unser Ziel ist heute Selenogorsk. Der Ort an der Ostsee ist ebenfalls touristisch, das alte
Riesenrad am Strand scheint aber schon ausgemustert zu sein. Die Unterkunftssuche sollte hier nicht schwer sein – dachten wir. Obwohl es einige Hotels gibt, schallt uns immer wieder ein verschrecktes 'no rooms' entgegen, wenn wir vorstellig werden. Im noblen Terijoki Hotel am Yachthafen hätten wir Zimmer für je 120 € bekommen können, aber wir suchen weiter. Schließlich werden wir im Aquamarin-Hotel fündig. Es ist ein Spa-Hotel mit Anspruch, aber nicht ganz so teuer. Die Anmeldeprozedur zieht sich, auch hier ist man sehr zurückhaltend. Das Zimmermädchen Olga ist dagegen offen und freundlich und hilft uns weiter. Auch mit dem Abendessen ist es nicht leicht, denn überall gibt es Veranstaltungen. Schließlich landen wir im
Restaurant 'Kafkas', wo wir gemeinsam mit einer Hochzeitsgesellschaft essen.
Mit fast 127km haben wir heute die längste Etappe der Reise vor uns. Unser Plan, früh los zufahren klappt nicht, denn Frühstück gibt es erst ab 9 Uhr, dafür ist es wirklich gut. Bereits um Viertel vor neun steht eine finnische Rentnerschar bereit, um über das Büffet herzufallen. Nach dem Einkauf von Wasser und Keksen geht es auf die Landstraße nach Westen. Die A123 wird gerade
neu asphaltiert, was besonders Frank begeistert. So ruft er den verdutzten Bauarbeitern immer wieder zu 'Ihr seid meine Helden!'. Nach etwa 15km verlassen wir den Distrikt St. Petersburg und fahren wieder in die
'Oblast Leningrad'. Der Verwaltungsbezirk hatte im Gegensatz zur Stadt seinen Namen aus sowjetischer Zeit behalten.
Die meiste Zeit fahren wir unweit der Küste durch
Nadelwald, ab und zu sind ein paar
Häuser zu sehen. Hin und wieder haben wir einen
Blick auf die Ostsee. Wozu die
Vogelhäuschen an der Straße stehen? Das fragen wir uns immer noch. Bei Ozerki gibt es eine Abwechslung: Mittel im Nichts steht die
Wallfahrtskirche St. Nikolaus. Es findet aber gerade ein Gottesdienst statt, da wollen wir nicht stören, schon gar nicht in unserem Fahrraddress. Das Mittagessen in Ermilovo besteht aus Snacks aus einem Laden.
Primorsk ist die südwestliche Ecke der heutigen Etappe. Hier ändern wir die Richtung und fahren mit Rückenwind gen Norden. Hier ist die Straße deutlich schlechter, Asphaltreparaturen werden in Handarbeit vorgenommen. Bei einer Pause in Sokolinskoye spricht uns die Bedienung im kleinen Imbiss auf Deutsch an. Sie hat es in der Schule gelernt. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es in dieser Gegend eine deutsche Minderheit.
In Wyborg begrüßt uns kein geringerer als
Lenin. Die sechs Meter hohe Statue steht zudem noch auf dem 'Roten Platz'. Wir finden ein nettes Hotel in der Altstadt, nur will man uns keinen guten Abstellplatz für die Fahrräder gewähren. Nach Rücksprache mit dem Chef dürfen wir schließlich die Räder im Eingang anschließen, müssen dafür allerdings 70 Rubel (1,50 €) pro Rad bezahlen. Auch damit bleibt die Unterkunft immer noch preiswert. In Wyborg sind die Hotelangestellten westlicher orientiert als in Selenogorsk, fast alle sprechen Englisch und sie sind auch nicht überrascht über plötzlich auftauchende Fahrradtouristen. Es ist ja auch nicht weit nach Finnland, zudem gehörte die Stadt lange Zeit zu Finnland. Am
alten Rathaus vorbei machen wir einen Rundgang zum
Hafen und finden dort ein gemütliches
Restaurant am Wasser.
Mit einem guten Frühstück starten wir auf unsere letzte Etappe in Russland. Wir passieren die
Burg Wyborg aus dem 13. Jhdt und fahren über zwei mit
Brücken verbundenen Inseln nordwärts. An der E18 sind bereits die finnischen Städte Lappeenranta und Helsinki
ausgeschildert. Um 11 Uhr tauschen wir unsere letzten 170 Rubel in
Bier und Gebäck ein. Wir sind beide sehr zufrieden mit dieser Anlage-Strategie. Kurze Zeit später erreichen wir den
Saimaakanal mit seinen acht Schleusen. Der Kanal von Lappeenranta nach Wyborg wurde Mitte des 19. Jhdt. für die Holzwirtschaft gebaut und ist heute vor allem bei finnischen Touristen beliebt. Hierfür ist noch nicht einmal ein Visum nötig.
Hier beginnt auch die Grenzzone, weit vor der eigentlichen Grenze. Ein erster Grenzposten fragt uns entspannt nach unseren Ausweisen. Dies passiert und noch weitere Male, bis wir die eigentliche Grenze erreichen. Bis dahin fahren wir in wunderschöner Landschaft am Kanal entlang und kreuzen ihn zweimal. An einer Schleuse beobachten wir das Ausflugsschiff
'Carelia'. Insgesamt viermal werden unsere Ausweise von den russischen Grenzbeamten kontrolliert. Nicht ein einziges Mal fragt man uns nach den Unterkunftsnachweisen, die wir so gewissenhaft mitgenommen haben. Auch bei der Zollkontrolle werden wir durchgewunken. So schön es in Russland war, so beruhigend wirkt das
EU-Banner nun auf uns.
Nachdem wir die Grenze hinter uns gebracht haben, ist es Zeit zum Mittagessen. Da kommt ein Fischgeschäft mit Mittagstisch in Nuijamaa gerade recht. Es gibt Lachssuppe zum Sattessen mit reichlich Einlage. Der Laden zieht hauptsächlich russische Trucker an. In Lappeenranta steuern wir direkt die Jugendherberge an und erhalten dort ein großes Zweibettzimmer inklusiv Frühstück für 70€. Verglichen mit den ansonsten hohen Preisen in Finnland ist dies wirklich moderat. Wir haben noch Zeit für die Besichtigung des hübschen Städtchens, und die nutzen wir. Wir besuchen das hölzerne
Rathaus von 1829, die
Stadtkirche und die
orthodoxe Kirche, den
Festungsberg, die
Sandburgen am Strand sowie den
Hafen. Unser Abendessen nehmen wir auf dem Restaurantschiff
'Prinsessa Armaada' ein.
Heute geht es nach Südwesten, denn wir wollen wieder an den Finnischen Meerbusen zurück. Zunächst fahren wir auf der 6 über lange Baustellen, denn die Straße wird offenbar gerade zur Autobahn ausgebaut. Der Verkehr besteht zum großen Teil aus russischen LKW. In Luumäki biegen wir von der Hauptstraße ab und essen dort auch Mittag. Es ist nach 40km auch die erste Gelegenheit dazu. Am Nachmittag wird es ruhiger. Wir fahren über eine
hügelige Straße praktisch ununterbrochen durch den Wald. Die 26 ist nicht so breit, und einige LKW überholen sehr knapp, daher bin ich wieder einmal froh über meinen Rückspiegel.
In Hamina finden wir mit dem 'Seurahuone' ein schönes Hotel, doch die Zimmerauswahl dauert: Fast alle Zimmer sind gerade frisch gestrichen, was nicht 'nach meiner Nase' ist. Am Ende finden wir doch noch ein noch nicht renoviertes Zimmer. Die Fahrräder finden Platz in der angeschlossenen Diskothek. Hamina gilt als eine der schönsten Städte Südfinnlands. Die Altstadt ist ein hübsches Ensemble mit achteckiger Struktur, in deren Mitte das
Rathaus steht. Ebenfalls zu erwähnen ist die orthodoxe
St.-Peter-und-Paul-Kirche, die
Reserveoffiziersschule sowie die
Hamina Bastion. Letztere wird jetzt als Freilichtbühne genutzt.
Der Regen hat uns wieder eingeholt. Über die 170 geht es nun nach Westen. In Kotka biegen wir zur auf einer Insel liegenden Altstadt ab. Trotz dieser schönen Lage haut uns die Stadt nicht vom Hocker. Nur der
Sapokka Park am Hafen mit einem künstlichen Wasserfall gefällt uns gut. Zum Mittagessen kam Kotka zu früh, daher müssen wir heute länger suchen. In Finnland sind Restaurants eher rar gesät, und wir sind froh über die Griechen, Türken und Chinesen, die mit ihren Restaurants unsere Versorgung sicherstellen. Offenbar ist Essengehen hier auch weniger verbreitet, denn als wir in Huutjärvi ein Restaurant finden, sind wir die einzigen Gäste. Das Chilihuhn war aber schmackhaft.
Am Nachmittag fahren wir weitgehend auf der E18. Ein schmaler Seitenstreifen, Dauerregen, Seitenwind und viele LKW machen uns das Leben schwer. Wir sind froh, gegen halb sechs Loviisa erreicht zu haben. Das Hotel
'Zilton' hat zwar schon bessere Zeiten gesehen, ist aber dafür billig. Es wirkt auf uns wie ein sozialistischer Plattenbau aus den 60er Jahren. An der Rezeption hält sich die Begeisterung über neue Gäste in Grenzen. Dafür hilft uns eine nette Frau weiter. Sie ist ebenfalls Gast und dolmetscht für uns. Neben
Rathaus und
Kirche ist vor allem der kleine Hafen von Loviisa sehenswert. Hier liegen einige
alte Schiffe zu Wasser und
zu Land. Zum Abendessen bleibt nur eine Dönerbude, aus der wir gegen neun Uhr herauskomplimentiert werden.
Auch heute fahren wir auf der 170 weiter nach Westen, nun aber häufig auf einem ordentlichen Radweg. Zudem gibt es wenig Verkehr, da hier die E18 als Autobahn parallel verläuft. Das Wetter hat sich wieder gebessert, meist ist es leicht bewölkt. Wir sind auf der
'Kuninkaantie' unterwegs, der Königsstraße, die seit dem Mittelalter den Süden Skandinaviens verband. Die Beschilderung ist zweisprachig, finnisch und schwedisch, denn hier gibt es eine bedeutende schwedische Minderheit. Zum Teil stehen die schwedischen Namen sogar an erster Stelle. In Porvoo, das wir zum Mittag erreichen, spricht etwa ein Drittel der Bevölkerung schwedisch.
Wir fahren bis vor die Tore Helsinkis und passieren um kurz nach drei Uhr das
Ortsschild der finnischen Hauptstadt. Um direkt
am Meer zu übernachten, bleiben wir im Vorort Ramsinniemi und nehmen in Kauf, dass die Unterkunft nur wenig besser aussieht als jene am Tag zuvor. Hier haben wir aber direkt vor dem Haus einen
Steg hinaus auf die Ostsee. Auf Empfehlung unserer Hotelwirtin fahren wir am Abend in das Restaurant 'Fregatti', das am Einkaufszentrum von Vuosaari liegt. Für den 'Absacker' sind wir dann aber wieder mit einem
Bier auf unserem Steg.
Nach einem guten Frühstück starten wir gemächlich in den Tag. Wir müssen zum Fährhafen 'Hansaterminaali', die Adresse in Stadtnähe hatten wir uns rausgesucht. Auf guten Radwegen fahren wir etwa 15km durch den
Osten Helsinkis. Angekommen im Hafen, stehen wir vor verschlossenen Toren. Was war passiert? Wir studieren unsere Fährpapiere nun genauer, und stellen fest, dass wir falsch sind. Das neue 'Hansaterminaali' liegt im kürzlich neu eröffneten Fährhafen Vuosaari, nur wenige Kilometer vom Ort unserer Übernachtung entfernt, allerdings in entgegengesetzte Richtung. Zum Glück haben wir reichlich Zeit, sodass wir es ohne Stress schaffen, zurückzufahren und an einem
Strand kurz vor dem Hafen noch Mittag zu essen.
Im großen
Hafen von Vuosaari ist es gar nicht einfach das Terminal zu finden. Nachdem diese Hürde überwunden ist, können wir Einchecken. Die Wartezeit, bis wir hinter dem
'Follow Me' Bus aufs Schiff fahren, reicht gerade für ein Bier. Auf dem Schiff finden wir einen guten
Platz für unsere Räder, die uns pannenfrei bis hierher gebracht haben. Die Kabine der Kategorie 'Außenkabine Harter Fußboden' erweist sich als gute Wahl. Sie ist ausreichend groß und das Bad ist sinnvoll eingerichtet. Das Schiff 'Nordlink' wurde erst 2007 gebaut. Das Buffet zum Abendessen teilen wir uns mit einem Rentnerbataillon. Zum Abschluss der Reise haben wir uns das anschließende
Sunsetbier mehr als verdient.
Um 8 Uhr gibt es Frühstück, wahrscheinlich deshalb so früh, damit wenigstens ein paar Stunden zwischen Frühstücks- und Mittagsbuffet liegen. Ansonsten passiert heute nicht viel. Das Tagesprogramm besteht aus Musikhören, Lesen auf dem Sonnendeck, Schlafen und immer wieder Essen und Trinken. Das Schiff ist schnell. Bereits um kurz vor neun Uhr abends passieren wir das Segelschulschiff Passat im Hafen von Travemünde. Etwa eine Stunde später rollen wir am Skandinavienkai von der Fähre. Unsere ersten Fahrradkilometer des Tages, und die letzten der Reise, führen uns zum Hafenbahnhof, von hier geht es per Bahn nach Hause. Während der Zugfahrt treffen wir auf weitere Radreisende und erzählen ihnen von unserer Reise.