Um 08:25 geht es los. Nach zehn Jahren wollen wir erneut auf gemeinsame Tour gehen. Zunächst geht es aber per Transporter zum Hamburger Flughafen. Am Sperrgepäckschalter macht sich erstmals Ungeduld breit, denn es dauert, bis wir unsere gut
verpackten Räder zur Kontrolle geben können.
Um 12:30 landen wir pünktlich
in Budapest. Hier fühle ich mich schon heimisch, ist es doch bereits das vierte Mal, dass ich zusammen mit meinem Fahrrad auf dem Flughafen der ungarischen Hauptstadt ankomme. Doch diese Sicherheit ist trügerisch, denn die Umgehungsstraße am Flughafen ist neu. Dann steuern wir aber doch problemlos auf der 4 auf unser erstes Ziel, die Kurstadt
Cegléd, zu. Eine Unterkunft zu finden erweist sich schwerer als erwartet: Hotels gibt es zwar, doch überall, wo wir auftauchen ist eine komplette Hochzeitsgesellschaft schon vor uns da. Schließlich finden wir doch noch im nach dem ungarischen Freiheitskämpfer benannten Hotel Kossuth im Stadtzentrum eine Bleibe.
Da auch in diesem Hotel am Abend kräftig gefeiert wurde und das morgens noch kein Personal da ist, müssen wir zum Frühstück mit einem sogenannten Lunchpaket vorliebnehmen, das sich als vorbereiteter Frühstücksteller entpuppt. Den Weg aus Cegléd heraus zu finden ist nicht leicht. Wir landen mitten auf einem Acker, aber Nachfragen hilft auch hier. Durch unendliche
Sonnenblumenfelder hindurch geht es ohne jegliche Steigung weiter ostwärts.
Storchennester und an den Häusern zum Trocknen
aufgehängte Paprikaschoten säumen unseren Weg.
An der
Theiß angekommen, stellen wir überrascht fest, dass alle vier Fähren bei Tiszaföldvár nicht mehr in Betrieb sind. Als Trost besuchen wir das
Uferfest in Tiszakécske, bei dem vor allem fürs leibliche Wohl gesorgt wird. Nachdem wir auf der 44 endlich die
Theiß überquert haben, erreichen wir nach insgesamt 120km unseren Zielort Szarvas. In der Panzio Lux bekommen wir nicht nur ein schönes Zimmer, sondern auch die 'Lux(us)-Platte' für drei Personen, mit der wir erwartungsgemäß kurzen Prozess machen. Aus den Wasserhähnen der Pension fließt Thermalwasser, was in Ungarn nichts Ungewöhnliches ist.
Gleich hinter Svarvas beginnt eine etwa 40km lange Holperstrecke, der wir bis zum Mittag folgen. Außer einer Unterhaltung mit dem Fahrer eines überdimensionalen Traktors bleibt unser Kontakt zur Zivilisation auf dieser Strecke begrenzt. Das Mittagessen nehmen wir in Mezöbereny in einer Art Speisesaal ein. Bei dem Angebot von genau einem Gericht fällt die Entscheidung nicht schwer. Weiter geht es über Békés nach Gyula. Dieser Heilkurort kurz vor der rumänischen Grenze bietet neben einer Burg und einem großen Thermalbad viele Unterkünfte. Im dritten Anlauf finden wir ein Privatzimmer. Unsere fünfsprachige Vermieterin empfiehlt uns ein Restaurant, dass 'zufällig' von ihrer Freundin geleitet wird, es ist aber wirklich gut. Ein Spaziergang rund um die Burg rundet den Abend ab.
An diesem Morgen wartet ein üppiges Frühstück im Wohnzimmer unserer Gastgeber auf uns. Obwohl wir kräftig zugelangt haben, werden wir gefragt, warum wir so wenig gegessen hätten. Auch sonst sind unsere Vermieter sehr fürsorglich: Sie empfehlen uns eine Route und bieten Hilfe an, falls wir in Rumänien ein Problem bekommen sollten. Wie schon so oft in Osteuropa wird uns auch hier gesagt: 'Bei uns ist alles gut, aber im Nachbarland, gleich hinter der Grenze, da wird‘s gefährlich'.
Nachdem wir in Gyula diverse Einkäufe erledigt haben, überqueren wir um 11:00 Uhr nach 265km problemlos die
rumänische Grenze. Die ersten Kilometer bis Chișineu-Criș sind
ziemlich öde, Grenzland eben. Auf der
kaum befahrenen 79A fahren wir weiter nach Osten. Auffällig sind die vielen
Pferdefuhrwerke und freundlich grüßenden Menschen. Einige sprechen uns an und wollen wissen, wo wir denn her kämen. In der Landwirtschaft werden häufig noch
Ochsenkarren eingesetzt und viel Handarbeit kommt zum Einsatz. Die letzen acht Kilometer vor unserem Ziel in Sebiș lasse ich meine Reisebegleiter in den Genuss einer original rumänischen
Schotterstrecke kommen, doch deren Dankbarkeit hält sich in Grenzen. Sebiș gibt nicht viel her, am Ortsausgang in Richtung Moneasa finden wir jedoch die recht neue
'Pensiunea Onix' an einem kleinen See, die unseren Ansprüchen voll und ganz genügt. Wir können sogar
draußen am See unser verdientes Abendessen einnehmen.
Es dauert ein wenig, bis unser Wunsch nach Frühstück verstanden wird. Schließlich gibt es aber doch ein Omelett. Beim Einkaufen im Ort fragt uns ein alter Mann nach unserem Ziel. Die Straße nach Deva sei gut, sagt er, die sei 1944 von den Deutschen gebaut worden. Ob das ein Qualitätskriterium ist?
Mit dem Erreichen der Ausläufer des Bihor-Gebirges wird die Landschaft wird
immer schöner. Bis Aciuța fahren wir auf der 79A. Die dann folgende Abkürzung über Tălagiu lohnt sich: Die kleine Straße ist gerade
neu asphaltiert worden und schlängelt sich durch das reizvolle Tal des Crișul Alb. Außer ein paar
Pferdefuhrwerken gibt es nahezu keine weiteren Verkehrsteilnehmer. Ab Vârfurile müssen wir die
Europastraße E79 nehmen. Erfreulicherweise ist diese ebenfalls kaum befahren und somit erreichen wir entspannt nach einigen weiteren
Hügeln das Dorf Vața de Jos. Wir sind froh, in dem verschlafenen Ort das versprochene
Hotel zu finden, ein kurioser Bau mit familiärem Touch. Zwei Zimmer werden uns für insgesamt 1 Mio. Lei angeboten. Glücklicherweise rechnet man hier noch in der alten Währungseinteilung und so brauchen wir nicht das ganze Hotel zu kaufen, sondern zahlen nur umgerechnet preiswerte 30 Euro. Abendessen gibt es ebenfalls im Hotel. Wir fragen nach typisch rumänischem Nachtisch und bekommen leckeren Pfannkuchen mit Früchten. Matthias und ich wollen mehr von landestypischen Genüssen wissen und wenden uns den Getränken zu...
Unter den Augen von
Großmutter und Enkelin unserer 'Hotel-Familie' beladen wir unsere Räder. Am Rande der Munții Metaliferi, des Siebenbürgischen Erzgebirges, fahren wir zunächst ostwärts. Auf dem
Schotterweg geht es zwar nur langsam voran, doch kommen wir hier in den Genuss, die
einfachen Dörfer in einer
romantischen Landschaft zu erleben. So etwas bietet die Europastraße nicht.
Wieder an der Hauptstraße, im geschäftigen Hauptort Brad, stärken wir uns zur Mittagszeit. Vor uns liegt jetzt der
Vălișoara-Pass, auf unserer Strecke der Scheitelpunkt der Munții Metaliferi. Die
Berge in dem südwestlichen Ausläufer der Karpaten sind glücklicherweise weder steil noch hoch und so haben wir den 461m hohen Pass schnell erreicht. Bergab geht es jetzt an den Mureș, neben dem Olt der größte Fluss Siebenbürgens. Hier liegt Deva, das Zentrum der Provinz Hunedoara mit der über ihr auf einem Vulkankegel thronenden
Burgruine aus dem 13. Jhdt. Wir haben Glück und finden schnell eine
nette Pension am Fuße des Burgberges. Die Stadt ist nicht hässlich, aber auch nicht gerade spektakulär. Es gibt ein hübsch restauriertes Rathaus, ein sozialistisches Kulturhaus und eine zum Fastfood-Restaurant umfunktionierte Synagoge. Im Restaurant Castelo neben der
Provinzregierung gibt es für uns erneut eine rumänische Spezialität zum Nachtisch: Das Teiggericht mit Sahne heißt
'Papanași'.
Auf der E68 fahren wir ostwärts aus der Stadt. Wir merken schnell, dass diese Europastraße durch das Mureștal absolut keine Freude für Radfahrer ist. So nehmen wir in Simeria für eine Weile die
Parallelstraße und fahren durch einige alte Dörfer. Einen geradezu mittelalterlichen Anschein hat die
Fertigung von Lehmbacksteinen durch Roma-Familien im Mureștal. Mit bloßen Händen wird der Lehm aus dem Boden gegraben, die Lehmsteine geformt und auf ein Gestell zum Trocknen gelegt. Der Mittagshunger führt uns wieder an die E68. An einer lauten
Raststätte können wir ihn stillen. Die letzten dreißig Kilometer legen wir dann auf der
Europastraße zurück. Viele LKW und enges Überholen erfordern volle Konzentration. Zudem kämpfen wir mit den Abgasen und fragen uns, ob es in Rumänien wohl so etwas wie den TÜV gibt.
Bereits um kurz nach vier sind wir in
Sebeș. Es hätte ein hübsches Städtchen sein können, würde nicht mitten durch die Stadt die Europastraße führen.
Zweisprachige Straßenschilder zeugen vom Erbe der Siebenbürger Sachsen. In dem von ihnen 'Mühlbach' genannten Ort bestimmten sie bis ins 20. Jahrhundert hinein die Geschicke der Stadt. Als Unterkunft wählen wir das Hotel Dacia, ein Motel am östlichen Stadtausgang. Hier erhalten wir erstmals auf der Reise ein Dreibettzimmer. Glücklicherweise ist die Qualität des Essens im zugehörigen Restaurant um Klassen besser als die der Betten im Zimmer.
Wir starten wieder auf der Europastraße, die am heutigen Samstag nicht ganz so befahren ist. In
Miercurea Sibiului legen wir eine Pause ein. Der Ort Reußmarkt wurde etwa um 1200 von siebenbürgisch-sächsischen Siedlern gegründet und erlangte in der Folgezeit eine gewisse Bedeutung bei der Verwaltung Siebenbürgens. Die Häuser am Rande des
großen Dorfplatzes zeugen von der langen Geschichte. Ein Junge mit einem Eselskarren versucht Zwetschgen zu verkaufen. Ansonsten ist der Platz fast leer. Eindrucksvoll steht am Nordrand des Platzes die alte
Kirchenburg aus dem 13. Jhdt.
Wir wollen versuchen, einen Blick hinter die hohen
Wehrmauern zu werfen. Ein junger Mann öffnet die schwere Tür und bietet uns eine private
Führung durch die Kirchenburg an. Da sagen wir nicht nein. Bei der Führung lernen wir vieles über die strikte Organisation der Dorfgemeinschaften Siebenbürgens. Während der Türkeneinfälle im späten Mittelalter boten die wehrhaft ausgebauten Kirchenburgen dem ganzen Dorf über Wochen Schutz. So mussten neben den Menschen auch entsprechend viele Nahrungsmittel untergebracht werden. Von Kirchturm erkennt man die typische Struktur der Gehöfte in siebenbürgischen Dörfern. Die langgezogenen Häuser haben den Giebel zur Straße. Am anderen Ende des Grundstücks befindet sich meistens ein Stall für das Viehzeug. Nach 45minütiger Führung verabschieden wir uns herzlich und fahren weiter auf der 1 nach Osten.
In Săliște essen wir
Mittag, bestehend aus einer Melone von Markt. Wenn es hier etwas im Überfluss gibt, dann sind es
Melonen. Interessiert beobachten wir beim Essen die
vereinzelten Kühe, die ohne Begleitung, gemächlich, aber doch sehr zielstrebig durch den Ort laufen und sich von niemand ablenken lassen. Wir folgen jetzt kleinen Straßen durch hübsche Siebenbürger Dörfer in der Mărginimea Sibiului dem sogenannten 'Hermannstädter Randgebiet'. Auch Cristian (Großau) besitzt eine beachtliche
Kirchenburg, diese lassen wir aber links liegen. Das heutige Ziel ist nämlich kein geringeres als
Sibiu, zu Deutsch Hermannstadt, das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Siebenbürgens. Wir suchen ein zentral gelegenes Hotel, das wir mit dem
'Împăratul Romanilor' auch finden. Hier gab es bereits seit 1773 ein Hotel, in dem auch Kaiser Joseph II gewohnt hatte. Da wird es ein paar Fahrradfahrer doch auch verkraften.
In der Stadt findet an diesem Wochenende ein mittelalterliches Spektakel mit Bühnen, Musik und Kleinkunst statt. Extra für uns! Oder ist es die Generalprobe für die 'Kulturhauptstadt des Jahres', welche Hermannstadt im Jahr 2007 sein wird? Wir gönnen unseren Rädern heute eine Pause und stürzen uns zu Fuß in das muntere Treiben. Auf Schritt und Tritt treffen wir Gaukler, Elfen, Feuerschlucker, Fahnenschwinger, Hexen, Ritter und was das Mittelalter noch so zu bieten hat. Sogar Dschinghis Khan kommt mit ein paar Gefolgsleuten vorbei. Zum Glück gibt es auch überall etwas zu Essen, so zum Beispiel auf dem Markt an der Stadtmauer. Natürlich kommt bei unserer Stadtbesichtigung auch die Kultur nicht zu kurz: Von der hübschen Studentin und Turmführerin Maria lassen wir uns den Turm der evangelischen Stadtpfarrkirche zeigen. Die Orthodoxe Kirche, die Lügenbrücke, die Hallerbastei und viele Plätze und Gassen der Stadt sehen wir uns ebenfalls an. Am schönsten ist es aber, mit einem frisch gezapften Bier auf der Piaţa Mare (Großer Ring) zu sitzen und dem Treiben zuzuschauen. Passend zum Mittelalter-Spektakel nehmen wir ein rustikales Abendessen auf lammfellbezogenen Stühlen in der 'Crama Sibiana' an der Piaţa Mica ein.
Nach Cisnădie führt eine 'weiße' Straße. Normalerweise handelt es sich dann um Schotterwege, doch hier in der Umgebung von Sibiu ist diese Straße
gut asphaltiert.
Cisnădie ist ein hübsches Städtchen, es wirkt fast schon ein wenig privilegiert. Früher war die Stadt ein Zentrum der Textilindustrie. Uns interessiert aber wieder die
Kirchenburg. Im Vergleich zu unserer ersten Besichtigung einer Kirchenburg in Miercurea Sibiului geht es hier ein wenig touristischer zu. Doch auch in Cisnădie, zu Deutsch Heltau, brauchen wir uns zum Eintritt nicht an langen Schlangen anzustellen, sondern werden als einzige Gäste von der Studentin Carmen durch die Kirchenburg geführt. Neben der
Kirche und dem
Wehrareal ist auch noch ein kleines
Museum eingerichtet. Erstaunt, aber auch ein wenig nachdenklich sind wir, als uns in der ehemaligen Vorratskammer im Turm ein Stück 60 Jahre alten
Specks präsentiert wird. Der Besitzer hat es bei seinem Weggang nicht mitgenommen.
Am Rande der Gebirgsausläufer der Mărginimea Sibiului fahren wir jetzt nach Tălmaciu. Kurz hinter der Stadt erreichen wir den Olt, einen Fluss, dem wir noch eine Zeit lang folgen werden. Ohne es wirklich zu bemerken, passieren wir den
Rotenturm-Pass. Dieser Talpass am Olt trennt das östlich des Flusses gelegene Făgăraş-Gebirge von dem westlichen Zibinsgebirge. Leider führt durch das enge Tal nur die Europastraße 81, die wir uns mit etlichen motorisierten Verkehrsteilnehmern, vor allem LKW, teilen müssen. Häufig werden wir Zeugen
riskanter Überholmanöver. Die großen
Schilder, die die Anzahl von Unfällen, Verkehrstoten und Schwerverletzen ausweisen, tragen auch nicht gerade zur Beruhigung der Situation bei. Am Abzweig nach Brezoi quartieren wir uns in einem Motel direkt an der Straße ein. Das ist nicht gerade romantisch, aber wenigstens haben wir auch für diese Nacht wieder ein Bett.
Am Morgen ist deutlich
weniger Verkehr auf der Straße. So können wir endlich die Landschaft des
tief eingeschnittenen Olttals genießen. Die Gipfel der umliegenden Berge auf beiden Seiten des Flusses erreichen 1300m, während wir gemütlich auf etwa 300m Höhe fahren. Schon nach 12km 'zwingt' uns eine Sehenswürdigkeit zum Halten. Hier liegt das
Kloster Cozia, eine wichtige Pilgerstätte aus dem 14. Jhdt. Viele Menschen warten im Kloster in einer Reihe stehend darauf, dass sie gesegnet werden. Nach der Besichtigung der
Klosteranlage machen wir bei unseren Fahrrädern noch eine Pause. Wir wundern uns, dass ein PKW auf die Anlage fährt und direkt neben unseren Rädern parkt. Hier ist doch kein Parkplatz. Doch noch mehr verwundert uns, was nun geschieht: Die Insassen steigen aus, es werden Türen, Kofferraum und Motorhaube geöffnet. Der Fahrer verschwindet im Kloster und kommt kurz darauf mit einem orthodoxen Priester zurück. Dieser beginnt sofort mit der Arbeit: Mit einem Weihrauchfass 'bewaffnet', beginnt er das Auto an allen Öffnungen zu beweihräuchern, anschließend wird es
gesegnet. Dann werden dem Geistlichen neben ein paar Geldscheinen noch ein paar Tüten Gemüse zugeschoben und schon brettert man wieder mit quietschenden Reifen davon. Vollkasko auf Rumänisch. Wir hoffen, dass unsere nahe stehenden Räder auch etwas von dem Segen abbekommen haben, denn brauchen werden wir ihn auf den rumänischen Schnellstraßen auf jeden Fall.
Hinter Râmnicu Vâlcea durchfahren wir ein
trostloses Industriegebiet, bevor wir uns dem leicht verfallenen Badekurort Băile Govora nähern. Auch hier gibt es ein
Kloster, in dem man laut Reiseführer sogar übernachten können soll. Das Kloster ist
wunderschön und ruhig gelegen, aber man macht uns auf Nachfrage schnell klar, dass es keine Übernachtungsmöglichkeit gäbe. Vielleicht waren wir in unserem Fahrraddress einfach zu bunt angezogen.
Auf dem Weg vom Kloster in den Ort spricht uns ein Mann aus einem alten, rostigen Auto an. 'Ob wir eine Unterkunft suchten', fragt er. Da genau dies der Fall ist, folgen wir ihm zu einem Grundstück mit Einfamilienhaus und
Stallungen. Hier wohnen Freunde von ihm, die uns nicht nur zwei Doppelzimmer anbieten, sondern auch noch ein leckeres
Essen vom Grill. Mit der ganzen Familie und unserem 'Vermittler' Konstantin sitzen wir bei Bier und selbstgebrannten Schnaps in
fröhlicher Runde auf der Terrasse. Anfangs waren wir etwas irritiert, als unsere Frage nach dem Preis für Kost und Logis mit einem lapidaren 'später' beantwortet wurde. Wir haben jedoch nicht das Gefühl, hier über den Tisch gezogen zu werden. Schließlich wollen wir aber doch wissen, was wir nun schuldig seien. Die überraschende Antwort: 'Ihr zahlt einfach, was es euch Wert ist'.
Madi, die Tochter des Hauses, macht uns ein gutes Frühstück. Über
kleine Straßen fahren wir bei regnerischem Wetter durch die Berge. Die Besichtigung des
Klosters Dintr-un Lemn ist eine willkommene Abwechslung. Bei Barbeni, zurück im Olttal, wird
Öl gefördert. Vom Fotografieren der Tiefpumpen versucht man uns abzuhalten – ist es ein militärisches Geheimnis, oder ist es den Menschen unangenehm, dass wir den maroden Zustand der Anlagen dokumentieren?
In der Walachei, dem südlich der Karpaten liegenden Landesteil Rumäniens, erscheinen uns
die Dörfer ärmlicher als in Siebenbürgen. Aus einem
Dorfbrunnen wird Wasser noch mit der Hand gefördert. Wir
überqueren den Olt und biegen wieder nach Norden ab. Auf der schlechten Straße in
bergiger Landschaft kommen wir nur langsam voran, wollen aber unbedingt noch Curtea de Argeș erreichen. Die 27 führt nun über zwei steile Berge, einmal ist die Straße komplett
vom Fluss weggespült und nur behelfsmäßig repariert. Immer wieder sehen wir Menschen
mit ein paar Kühen die Straße entlang gehen, es sieht aus, als gingen sie Gassi. In Curtea de Argeș, einer der ältesten Städte des Landes, finden wir eine Pension, und nach einigen Verhandlungen dürfen auch unsere Räder im neu gefliesten Keller stehen.
Zunächst widmen wir uns heute wieder der Kultur und schauen uns die
Bischofskirche im Kloster von Curtea de Argeș an. Die einem sehr großen Mausoleum im byzantinischen Stil ähnelnde Kirche mit den Spiraltürmen aus dem 16. Jhdt. gilt als eines der berühmtesten Gebäude Rumäniens. Leider ist ein Teil von ihr verhüllt, aber das
prachtvolle Innere lohnt allein den Besuch. Auch die
Fürstenkirche, eines der wenigen erhaltenen Gebäude aus dem 14. Jhdt., lassen wir uns nicht entgehen.
Mit Rückenwind fahren wir dann das Argeștal hinab bis Pitești, wo wir unser Mittagessen in der Fußgängerzone neben der
St.-Georgs-Kathedrale einnehmen. Wir trödeln heute ein wenig, denn wir sind sicher, dass wir bei dem nun wieder besseren Wetter und der vor uns liegenden flachen Strecke unser Ziel Găești leicht erreichen werden. Zudem hatte unsere Recherche ergeben, dass es dort drei Hotels geben sollte. Dies ist auch der Fall, allerdings sind sie allesamt voll oder geschlossen. Nachdem wir die Stadt mehrfach durchquert haben und es immer später wird, treffen wir die beiden Pfadfinderinnen Elena und Luci, die uns spontan ihre Hilfe anbieten und potentielle Zimmeranbieter antelefonieren. Nach einigen erfolglosen Versuchen erhellt sich die Miene von Elena, sie hat eine alte Dame erreicht, die uns gerne zwei Zimmer zur Verfügung stellt. Erleichtert folgen wir ihr durch die Stadt und freuen uns über die freundliche Aufnahme. Die herzliche Gastfreundschaft trotz der ärmlichen Verhältnisse beeindruckt uns sehr. Während wir an unsere letzten verbleibenden Müsliriegel als Ersatz für ein Abendessen denken, löst sich auch dieses Problem. Die Tür zum Nachbargrundstück öffnet sich plötzlich, und wir werden auf Deutsch begrüßt. Es sind Max, ein bayrischer Fernfahrer, mit seiner Frau Rodica, die uns nicht nur zum Abendessen einladen, sondern uns auch die gerade neu erbaute Dusche zur Verfügung stellen. Am Abend erfahren wir von ihnen, wie sie nach langen Jahren in Deutschland nun das geerbte Häuschen in Găești renoviert haben, sowie von ihren selbstorganisierten Hilfsgütertransporten für Rumänien im Rahmen der Malteserhilfe.
Mit einem
Luxusfrühstück beginnt der Tag erneut bei unseren freundlichen 'Nachbarn'. Bevor wir aber in Richtung Bukarest aufbrechen, zeigen Max und Rodica uns stolz die
Malteserstation von Găești, zu der sie maßgeblich beitragen. Auf der
Station kümmert man sich um Arme und Obdachlose, gewährt ihnen medizinische Versorgung, oder bietet ihnen einfach nur Beschäftigung in sauberen und geheizten Räumen an.
Zusammen mit den Tomaten und Weintrauben, die uns unsere Gastgeberin beim Abschied mitgab machen wir uns nun auf den Weg. Auf der 7 haben wir zunächst weniger
Verkehr als erwartet und erreichen auf einer glatten Straße nach gut 1000 Tourenkilometern die rumänische Hauptstadt. Nachdem Fotostopp am hochaufragenden
Ortseingangsschild wird der Verkehr zunehmend dichter. Da die von uns präferierte 'Villa Helga' schon voll belegt ist, entscheiden wir uns für das luxuriösere
Hotel Duke an der Piața Romana. Die Fahrräder bekommen einen sicheren Platz im Keller. Noch am Abend machen wir einen Bummel durch das Altstadtviertel
Lipscani und bestaunen das prächtig
angestrahlte Parlamentsgebäude.
Heute wollen wir uns Bukarest anschauen. Dafür lassen wir die Rädern pausieren und machen uns zu Fuß, sowie mit den gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg. Wir besuchen die Altstadt, von der nicht mehr sehr viel übrig blieb, weil sie nicht in die Hauptstadtphantasie des ehemaligen Diktators Ceaușescu passte. Er ließ historische Stadtviertel zerstören, um neuen Gebäuden im
monumentalen Zuckerbäckerstil Platz zu machen. Der riesige
Parlamentspalast, der zweitgrößte der Welt, wurde ironischerweise erst nach der Hinrichtung des 'Conducător' vollständig fertiggestellt. Wir schauen uns die ehemalige Karawanserei
'Hanul lui Manuc', sowie
Kirchen, Gassen und
Plätze an. Das einzige, was wir nicht finden, sind die uns im Vorfeld 'versprochenen' Romakinder und wilden Hunde. Am Platz der Einheit (Piața Unirii) mit seinem
überdimensionalen Brunnen machen wir Mittagspause.
Alleine fahre ich dann zum Bella-Friedhof mit seinen ungewöhnlichen und
beeindruckenden Grabstätten, die zum Teil wie Mausoleen wirken. Nachdenklich macht mich aber vor allem der Teil des Friedhofs, auf dem die vielen Menschen liegen, die während der
Revolutionstage im Dezember 1989 ums Leben gekommen sind. Auf dem Weg zurück durchquere ich den
Carol Park mit dem
monumentalen Denkmal, das ursprünglich den 'Helden des Sozialismus' gewidmet war. Auch am Abend zieht es uns wieder in die Innenstadt und nach einem Restaurant- und
Kneipenbummel geht es um 23:30 mit der letzten Metro zurück.
Der internationale Flughafen Otopeni liegt etwa 17km nördlich der Stadt. Wir passieren den 1936 nach französischem Vorbild errichteten Triumphbogen und den nationalen Flughafen Băneasa. Viele neue Industrieunternehmen haben sich hier inzwischen angesiedelt. Am Flughafen geben wir zunächst unser Gepäck auf, dann geht es mit dem Fahrrad zum Röntgenscanner. Ohne die Laufräder auszubauen, passen unsere Boliden aber nicht durch das Gerät. An sich eine einfache Aktion, die Räder auszubauen, hätten wir nicht alle drei Naben, die nur mit Spezialwerkzeug zu öffnen sind – und dieses liegt sicher verwahrt in unseren Taschen bereits im Flugzeug. Das Flughafenpersonal ist unerbittlich. Konsequenz: Das Gepäck wird aus dem Flieger zurückbefördert und selbiges Flugzeug fliegt ohne uns ab. Wir holen das Gepäck vom Lost&Found Schalter im Nachbarterminal ab und sind nun mit Werkzeug in der Lage, die Vorderräder auszubauen. Zumindest wird uns ein Alternativflug angeboten und wir erhalten eine Einladung in die Lounge. Tatsächlich fliegen wir schließlich nach Hause. So geht eine überaus erlebnisreiche Reise für uns gut zu Ende.